Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Übertragung der Gedankenform seines Namens in die Menschensprache. Ich hatte Angst. Burrich hatte ihn gespürt. Er wußte Bescheid, sinnlos, noch leugnen zu wollen. Doch ich empfand auch einen Funken Erleichterung. Wie sehr ich ihrer überdrüssig war, all der Geheimnisse und Lügen, die mein Leben bestimmten. Burrich ritt stumm weiter, ohne mich anzusehen. »Ich habe es nicht mit Absicht herbeigeführt. Es ist einfach so gekommen.« Eine Erklärung, keine Rechtfertigung.
Ich habe ihm keine andere Wahl gelassen. Nachtauge machte sich lustig über Burrichs eisernes Schweigen.
Ich legte die Hand auf Rußflockes Nacken und bezog Trost aus der lebendigen Wärme des Tieres. Von Burrich immer noch nichts. »Ich weiß, du wirst es niemals gutheißen«, fuhr ich fort, »aber ich habe nicht die Freiheit zu entscheiden. Es ist ein Teil von mir. Ich bin, was ich bin.«
Das sind wir alle, spottete Nachtauge. Komm, Dem-wir-folgen, sprich zu mir. Werden wir nicht gut zusammen jagen?
Dem-wir-folgen? wunderte ich mich.
Er weiß, das ist sein Name. So haben sie ihn genannt, die Hunde, die ihn verehrten, wenn sie auf der Jagd Laut gaben. Damit haben sie sich gegenseitig angespornt. ›Dem-wir-folgen, hier, hier, das Wild ist hier, ich habe es gefunden, für dich, für dich!‹ Das sagten sie mit ihrem Kläffen, und einer versuchte den anderen zu übertönen, um als erster seine Aufmerksamkeit zu erregen. Doch jetzt sind sie alle fort, weit weg. Sie wären lieber bei ihm geblieben. Sie wußten, er verstand sie, auch wenn er keine Antwort gab. Hast du sie nie gehört?
Ich nehme an, ich habe es nicht hören wollen. Verschwendung. Weshalb taub sein wollen? Oder stumm?
»Mußt du das in meiner Gegenwart tun?« Burrichs Stimme klang steif.
»Entschuldigung«, sagte ich, weil ich spürte, daß er wirklich Anstoß nahm. Nachtauge mokierte sich wieder. Ich ging nicht darauf ein. Nach einem weiteren Augenblick unbehaglichen Schweigens stieß Burrich Rötel die Stiefelhacken in die Weichen und ritt in schlankem Trab an Kettrickens Garde vorbei. Erst zögerte ich, dann folgte ich ihm.
Er berichtete Kettricken militärisch knapp, was er veranlaßt hatte, bevor wir von Bocksburg aufbrachen, und sie nickte ernsthaft, als wäre sie daran gewöhnt, solche Meldungen entgegenzunehmen. Uns wurde die Ehre zuteil, links von ihr reiten zu dürfen. Zu ihrer Rechten ritt die Erste Garde, Fuchsrot.
Noch vor Tagesanbruch holte die Reiterei aus Bocksburg uns ein. Als sie aufschlossen, ließ Fuchsrot das Tempo verringern, damit ihre erschöpften Tiere sich erholen konnten, doch nachdem sich alle Pferde an einem Bach hatten satt trinken können, mußten sie wieder laufen. Burrich schwieg weiterhin beharrlich.
Vor Jahren hatte ich schon einmal die Reise nach Guthaven unternommen, als Teil von Veritas’ Entourage. Damals hatten wir fünf Tage gebraucht, aber wir waren auch mit Wagen und Sänften, Gauklern, Musikanten und Lakaien unterwegs gewesen. Diesmal war es ein Gewaltritt mit leichtem Gepäck, und wir waren nicht gezwungen, jeder Biegung der breiten Küstenstraße zu folgen. Nur das Wetter zeigte sich ungnädig. Am ersten Morgen wurde es gar nicht richtig hell, und gegen Mittag brach ein Unwetter los. Schlimmer noch als das körperliche Unbehagen war das Wissen, daß der Sturm das Vorankommen unserer Flotte hemmte. Wann immer es sich ergab, daß wir das Meer sehen konnten, hielt ich nach Segeln Ausschau, doch jedesmal vergebens.
Fuchsrot verstand es, die Kräfte von Pferd und Reiter klug einzuteilen. Sie ließ abwechselnd Trab und Galopp reiten und sorgte dafür, daß die Tiere reichlich getränkt wurden. Während der seltenen Rasten gab es für sie eine Ration Hafer und für die Reiter Hartbrot und Trockenfisch. Falls dieser oder jener bemerkte, daß uns ein Wolf folgte, verlor niemand ein Wort darüber. Zwei volle Tage später schauten wir in der Morgendämmerung und bei ruhigem Wetter hinunter auf die weite Mündungsebene, die sich zur Bucht von Guthaven öffnete.
Seewacht war die Burg von Guthaven, Sitz Herzog Kelvars von Rippon und seiner Gemahlin Lady Grazia. Der Wachturm erhob sich auf einem Hügel über der Stadt, während die Burg selbst auf ziemlich ebenem Terrain erbaut war, befestigt durch eine Reihe von Erdwällen und Gräben. Mir war seinerzeit gesagt worden, kein Feind wäre je weiter gekommen als bis zum zweiten Wall, aber die Behauptung stimmte nicht mehr. Wir hielten auf der Anhöhe, um uns einen Überblick zu verschaffen.
Die
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