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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Glorienschein aus Licht sein, der sie umgab. Ich setzte mich bequemer hin, um die Gestalten zu studieren.
    Unversehens war ich eingenickt und erwachte durch einen Luftzug an meiner Schulter. Die Geheimtür neben dem Kamin, die zu Chades Reich hinaufführte, stand weit offen. Ich erhob mich steifbeinig, reckte mich und stieg die Treppe hinauf, nur mit meinem Nachthemd bekleidet, wie bei jenem ersten Mal vor vielen Jahren. Damals folgte ich einem furchteinflößenden alten Mann mit pockennarbigem Gesicht und den scharfen, klaren Augen eines Raben. Er hatte angeboten, mir beizubringen, wie man Menschen tötet. Außerdem – das begriff ich, ohne daß er es aussprechen mußte – bot er mir an, mein Freund zu sein. Ich hatte beide Angebote akzeptiert.
    Die Steinstufen waren kalt. Hier gab es immer noch Spinnweben und Staub und Ruß über den Fackelhaltern an der Wand, der Hausputz hatte sich demnach nicht auf diesen Treppenaufgang erstreckt. Und auch nicht auf Chades Domizil. Dort war es so chaotisch und unaufgeräumt und gemütlich wie eh. Die eine Hälfte des großen Zimmers war seine Giftküche, mit einem großen Herd, nacktem Steinfußboden und riesigem Tisch, auf dem sich das übliche Sammelsurium ein friedvolles Stelldichein gab: Mörser und Pistille, schmierige Teller mit Fleischbrocken für Schleicher, das Wiesel, Dosen voller getrockneter Kräuter, Schrifttafeln und -rollen, Löffel und Zangen und ein geschwärzter Kessel, aus dessen Tülle sich immer noch ein übelriechender Dampffaden zur Decke kräuselte.
    Chade jedoch hatte sich in die andere Hälfte zurückgezogen, wo ein dickgepolsterter Lehnsessel vor dem brennenden Kamin stand. Teppiche bedeckten in sich überlappenden Schichten den Boden, auf einem elegant geschnitzten Tisch standen eine Glasschale mit Äpfeln und eine Karaffe Sommerwein. Chade saß eingeschmiegt in die weichen Kissen der Polsterung und hielt lesend eine Schriftrolle ins Licht. Mußte er dazu die Arme weiter ausstrecken, oder hatte es nur den Anschein, weil sie noch dünner waren als früher? Ich fragte mich, ob er in den Monaten meiner Abwesenheit so stark gealtert war oder ob ich es früher einfach nicht wahrgenommen hatte. Seine graue Kutte sah abgetragen aus wie immer, und das lange graue Haar, das ihm über die Schultern fiel, kam mir unverändert vor. Wie immer wartete ich schweigend, bis er geruhte, den Kopf zu heben und meine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen. Manche Dinge veränderten sich, andere hingegen nicht.
    Endlich ließ er die Schriftrolle sinken und schaute mich an. Er hatte grüne Augen, der Bastardeinschlag in dem dunklen Weitseher-Gesicht. Trotz der pockenähnlichen Narben, die ihn entstellten, konnte er seine Herkunft ebensowenig verleugnen wie ich. Ich nehme an, ich hätte ihn als meinen Großonkel bezeichnen können, doch unser Schüler-Lehrer-Verhältnis war enger als jede Blutsverwandtschaft. Er musterte mich von Kopf bis Fuß, und unbewußt nahm ich eine straffere Haltung an. Als er sprach, klang seine Stimme ernst. »Komm ins Licht, Junge.«
    Ich trat ein paar Schritte vor. Er studierte mich genauso aufmerksam, wie er die Schriftrolle studiert hatte. »Wären wir ehrgeizige Verschwörer, du und ich, würden wir dafür sorgen, daß jedermann deine Ähnlichkeit mit Chivalric bemerkt. Ich könnte dich seine Haltung lehren, schon jetzt hast du seinen Gang. Ich könnte dir zeigen, wie man es anstellt, durch Mimik und Gesten älter zu wirken. Du bist fast so groß wie er. Du könntest dir seine typischen Redewendungen aneignen und seine Art zu lachen. Ganz allmählich würden wir Einfluß gewinnen, still und unauffällig, keiner würde überhaupt bemerken, wieweit er schon nachgegeben hat. Und eines Tages würden wir aus dem Schatten treten und die Macht ergreifen.«
    Er schwieg.
    Langsam schüttelte ich den Kopf. Dann lächelten wir beide. Ich ging zu ihm und setzte mich zu seinen Füßen vor dem Kamin auf den Boden. Die Wärme des Feuers in meinem Rücken tat mir gut.
    »Die Macht der Gewohnheit, vermute ich.« Er seufzte und nahm einen Schluck Wein. »Ich muß über solche Dinge nachdenken, weil ich weiß, daß andere es tun werden. Eines Tages, früher oder später, wird irgendein Duodezfürst das für einen brillanten Einfall halten und an dich herantreten. Warte ab, ob ich nicht recht behalte.«
    »Mir wäre lieber, du irrst dich. Ich hatte ein gerüttelt Maß an Intrigen, Chade, und habe mich in dem Spiel nicht annähernd so gut geschlagen, wie ich erhofft

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