Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Herkunft? Wünscht der König, daß du Nachkommen zeugst?«
Jeder Punkt, den sie aufzählte, traf mich wie ein Keulenschlag. Stumm ließ ich mich zurücksinken und starrte auf die Bettvorhänge. Ich hatte nie bewußt angefangen, Molly zu umwerben. Aus einer Kinderfreundschaft war unmerklich mehr geworden. Mein Herz hatte gewußt, was es sich wünschte, aber mein Kopf hatte niemals den Wunsch an der Wirklichkeit gemessen. Philia konnte an meinem Gesicht ablesen, was ich dachte.
»Davon abgesehen, FitzChivalric, solltest du nicht vergessen, daß du bereits einen Treueid geleistet hast. Dein Leben gehört dem König. Was hättest du Molly zu bieten, wenn du sie heiratest? Seine Brosamen? Die kurzen Augenblicke, die er nicht beansprucht? Einem Mann, der geschworen hat, seinem König zu dienen, bleibt wenig Zeit für etwas anderes in seinem Leben.« Plötzlich standen Tränen in ihren Augen. »Manche Frauen sind bereit zu nehmen, was ein solcher Mann ihnen geben kann, und sich damit zu begnügen. Für andere ist es nicht genug. Du mußt…« Sie zögerte, und es schien sie Überwindung zu kosten, weiterzusprechen. »Du mußt darüber nachdenken. Ein Pferd kann niemals zwei Sättel tragen, wie sehr es sich das auch wünschen mag…« Bei den letzten Worten war ihre Stimme immer leiser geworden. Sie schloß die Augen, als hätte sie Schmerzen. Doch der Augenblick der Schwäche war schon vorüber, und sie fuhr fort, als wäre nichts gewesen. »Und noch etwas ist zu bedenken, FitzChivalric. Molly ist – oder war – eine Frau mit Zukunft. Sie hat ein Handwerk gelernt und weiß ein Geschäft zu führen. Ich bin überzeugt, daß sie bald genug Geld verdient haben wird, um sich wieder eine Existenz aufzubauen. Doch was ist mit dir? Was hast du aufzuweisen? Du verstehst dich darauf, schöne Buchstaben zu malen, doch du bist kein Schreiber. Du magst ein guter Stallbursche sein, aber das ist nicht dein Broterwerb. Du bist der Bastard eines Prinzen. Du wohnst in der Burg, du wirst gespeist und gekleidet. Aber du erhältst keine feste Apanage. Dies könnte ein gemütliches Zimmer sein, für eine Person. Aber wolltest du Molly zumuten, hier zu hausen? Oder hast du ernsthaft geglaubt, der König würde dir gestatten, Bocksburg zu verlassen? Und wenn er es täte, was dann? Willst du bei deiner Frau wohnen und das Brot essen, das sie mit ihrer Hände Arbeit verdient? Oder wärst du’s zufrieden, ihr Gewerbe zu erlernen und ihr zur Seite zu stehen?«
Sie schwieg, doch offenbar nicht, weil sie von mir eine Antwort auf ihr Fragen erwartete. Ich hätte auch keine gewußt. Nachdem sie Atem geschöpft hatte, sprach sie weiter. »Du hast dich benommen wie ein gedankenloser Knabe. Ich weiß, du hast es nicht böse gemeint, und wir müssen dafür sorgen, daß kein Schaden daraus entsteht. Für niemanden. Besonders nicht für Molly. Du bist inmitten von Klatsch und Intrigen eines Königshofs aufgewachsen, sie nicht. Willst du, daß es heißt, sie ist deine Konkubine oder, schlimmer noch, eine gemeine Hure? Seit vielen Jahren ist Bocksburg eine Männerdomäne gewesen. Königin Desideria war die Königin, aber sie hielt nicht Hof wie Königin Constance vor ihr. Nun hat Bocksburg wieder eine Königin. Schon gibt es einige Veränderungen, wie du feststellen wirst. Falls du wirklich hoffst, Molly zu deiner Gemahlin zu machen, muß sie Schritt für Schritt am Hof eingeführt werden, oder ihr droht ein Dasein als Ausgestoßene unter lauter höflich nickenden Fremden. Ich rede offen mit dir, FitzChivalric, auch wenn es grausam ist. Besser, ich bin jetzt grausam zu dir, als daß Molly lebenslang beiläufigen Boshaftigkeiten ausgesetzt ist.« Sie sprach mit großer Bestimmtheit und ließ nicht eine Sekunde den Blick von meinem Gesicht.
Eine Weile schwiegen wir beide, dann fragte ich niedergeschlagen: »Was muß ich tun?«
Sie senkte den Blick auf ihre Hände, dann schaute sie mir wieder in die Augen. »Fürs erste gar nichts. Und ich meine gar nichts. Ich habe Molly in meinen Dienst genommen. Ich unterrichte sie, so gut ich kann, in den höfischen Sitten und Gebräuchen. Sie erweist sich als gute Schülerin, und überdies ist sie mir eine kundige und angenehme Lehrerin auf dem Gebiet der Kräuterkunde und der Duftessenzen. Ich habe Fedwren beauftragt, ihr Lesen und Schreiben beizubringen, worauf sie besonders erpicht ist. Vorläufig gedenke ich es dabei bewenden zu lassen. Sie muß bei den Frauen am Hof als eine meiner Damen gelten – nicht als des
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