Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Glück um den Preis politischer Vorteile. Das hatte es noch nie gegeben, einen König-zur-Rechten, der aus Liebe heiratet. Bis auf den heutigen Tag ist man nicht müde geworden, sich das Maul darüber zu zerreißen.«
»Ob er es wohl bereut hat?«
»Leicht war es nicht für ihn«, antwortete Chade halblaut. »Nein, ich glaube nicht, daß er seine Entscheidung bereut hat. Doch er war König-zur-Rechten. Dir wird man keinen solchen Spielraum zugestehen.«
Aha. Natürlich wußte er auch das. Und sinnlos zu hoffen, er würde schweigend darüber hinweggehen. Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. »Molly.«
Er nickte bedächtig. »Anfangs konnte man darüber hinwegsehen; ein Junge, der in die Stadt hinunterläuft und sich dort mit Gleichaltrigen herumtreibt. Doch mittlerweile betrachtet man dich als Mann. Als sie herkam und nach dir fragte, fingen die Leute an zu reden und zu spekulieren. Philia erwies sich als bemerkenswert umsichtig und verhinderte durch ihr rasches Handeln größeres Unheil. Nicht, daß ich die Frau hierbehalten hätte, wenn es nach mir gegangen wäre. Trotzdem muß ich Philia ein großes Lob aussprechen.«
»Die Frau…« Hätte er gesagt ›die Hure‹, hätte es mich nicht tiefer getroffen. »Chade, du hast eine falsche Meinung von ihr. Und von mir. Als Kinder waren wir Freunde, und wenn jemand die Schuld daran trägt, wie… wie die Dinge sich entwickelt haben, dann bin ich es und nicht Molly. Weil ich glaubte, daß meine Freunde in der Stadt und die Stunden, die ich als ›Neuer‹ mit ihnen verbrachte, allein mir gehörten.« Ich merkte, wie töricht meine Worte waren, und verstummte.
»Hast du dir eingebildet, du könntest zwei Leben leben?« Chades Stimme war leise, der Ton scharf. »Wir gehören dem König, Junge. Unser Leben gehört ihm. Jede Minute jedes einzelnen Tages, wachend oder schlafend. Du hast keine eigene Zeit. Nur des Königs.«
Ich drehte mich halb zur Seite, um in die Flammen sehen zu können. Im Licht des eben Gehörten überdachte ich, was ich von Chade wußte. Wir trafen uns hier, nachts, in diesem abgelegenen Gemach. Bei Tag in der Burg, unter Menschen, hatte ich ihn nie gesehen. Niemand erwähnte seinen Namen. Hin und wieder reiste er, verkleidet als Lady Quendel, über Land. Einmal hatten wir zusammen einen Gewaltritt unternommen, nach Ingot, wo wir unsere erste Begegnung mit Entfremdeten hatten. Doch selbst das war auf Befehl des Königs geschehen. Wie sah Chades Leben aus? Ein Zimmer, gutes Essen und Wein und ein Wiesel zur Gesellschaft. Er war Listenreichs älterer Bruder. Wäre er nicht ein Bastard gewesen, hätte er auf dem Thron gesessen. Konnte ich aus seinem Beispiel auf meine Zukunft schließen?
»Nein.«
Chade hatte mir am Gesicht abgelesen, was ich dachte. »Ich habe dieses Leben gewählt, Junge. Nach einem Unfall, bei dem mir ein falsch gemischtes Pulver unter den Händen explodierte. Früher war ich ein gutaussehender Mann. Und ich war eitel, fast so eitel wie Edel. Als mein Gesicht entstellt war, wünschte ich mir den Tod. Monatelang verkroch ich mich in meinem Zimmer. Als ich mich endlich hinauswagte, ging ich verkleidet, nicht als Lady Quendel, nein, damals noch nicht. Aber es war eine Verkleidung, die mein Gesicht und meine Hände bedeckte. Ich verließ Bocksburg, und als ich nach langer Zeit wiederkehrte, war der schöne junge Mann von einst tot. Wie sich herausstellte, konnte ich als Toter der Familie ungleich nützlicher sein denn als Lebender. Es gäbe noch mehr zu sagen, aber du sollst wissen, daß ich mir meine Art zu leben selbst ausgesucht habe. Listenreich hat mich nicht dazu gezwungen. Es war meine Entscheidung. Deine Zukunft mag anders aussehen, doch wiege dich nicht in der Hoffnung, du könntest sie nach deinem eigenen Willen gestalten.«
Die Neugier ließ mir keine Ruhe. »Ist das der Grund, weshalb Chivalric und Veritas von dir wußten, doch Edel nicht?«
Chade lächelte seltsam. »Auch wenn man es sich nur schwer vorstellen kann: Ich war eine Art gütiger Stiefonkel für die zwei älteren Knaben. Ich wachte über sie. Doch nach dem Unfall hielt ich mich auch von ihnen fern. Edel weiß nichts von mir. Seine Mutter hatte Todesangst vor den Pocken, wahrscheinlich glaubte sie sämtliche Geschichten von dem Gezeichneten, dem Vorboten von Unglück und Verderben. Aus demselben Grund hegte sie wohl auch eine fast abergläubische Scheu vor Menschen mit irgendeinem Gebrechen. Man erkennt ihre Manie an Edels Haltung gegenüber dem
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