Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Fingern das Haar nach hinten zu kämmen, dann band ich es im Nacken neu zusammen. Das Kopftuch brauchte ich nicht mehr. Die meisten der Höflinge, die ich bisher gesehen hatte, trugen wie Edel geölte Locken, doch einige der jüngeren gaben der traditionellen Haartracht den Vorzug. Ich durchsuchte etliche Schubladen, fand eine Art Medaillon an einer Kette und hängte es um. Ein Ring war zu weit für meinen Finger, aber ich steckte ihn trotzdem an. Einem flüchtigen Blick sollte meine Verkleidung standhalten, und von einer kritischeren Musterung hoffte ich, verschont zu bleiben. Die Soldaten suchten nach einem Mann mit bloßem Oberkörper, bekleidet nur mit einer derben Hose, die zu dem blutigen Hemd paßte, das bei der Leiche zurückgeblieben war. Vielleicht fahndete man inzwischen draußen nach dem Mörder. Ich wappnete mich innerlich, dann öffnete ich langsam die Tür. Der Gang war leer, und ich trat über die Schwelle.
Im Schein der Fackeln stellte ich wenig begeistert fest, daß die blind herausgegriffene Hose dunkelgrün war, das Hemd buttergelb. Nicht, daß ich befürchten mußte, Aufsehen zu erregen. Man liebte es buntscheckig hierzulande, nur unter die Gäste des Purpurballs konnte ich mich so angetan nicht unauffällig mischen. Ich gab mir einen Ruck und ging gemächlich, aber zielstrebig den Korridor hinunter, auf der Suche nach einer Tür, die größer und prunkvoller war als die anderen.
Kühn probierte ich die erste und fand sie unverschlossen. In dem Gemach dahinter fiel mein Blick auf eine riesige Harfe. Weitere Instrumente standen bereit, als harrten sie der Musiker. Den restlichen Platz nahmen Sessel und gepolsterte Ruhebänke ein. Die Gemälde an den Wänden waren Darstellungen von Singvögeln. Ich schüttelte den Kopf, voller Staunen über die Reichtümer in diesem Schloß, dann setzte ich meinen Weg fort.
Die Angst vor Entdeckung im Nacken, erschien mir der Gang endlos. Ich bemühte mich, mir den Anschein eines Menschen zu geben, der sich mit gutem Recht hier aufhielt, und ging ohne Eile immer weiter. Ab und zu öffnete ich eine der Türen, an denen ich vorbeikam. Linker Hand schienen die Schlafgemächer zu liegen, und rechter Hand befanden sich größere Räumlichkeiten, Bibliotheken, Speisesäle und dergleichen. Statt von Fackeln in Halterungen wurde der Gang von Kerzen hinter Glasschirmen erleuchtet. Gobelins in heiteren Farben verbreiteten eine wohnliche Atmosphäre, und in Nischen standen Jardinieren oder zierliche Statuetten. Unwillkürlich drängte sich mir der Vergleich mit den kahlen Mauern von Bocksburg auf. Wie viele Kriegsschiffe hätte man mit dem Geld bauen und bemannen können, das mit vollen Händen ausgegeben worden war, um dieses luxuriöse Nest auszupolstern! Der Zorn verlieh mir neue Entschlossenheit. Ich würde Edels Gemächer finden.
Eine, zwei, drei weitere Türen, die vierte endlich sah vielversprechend aus. Es war eine Flügeltür aus goldfarbener Eiche, darin eingelegt der Eichenbaum, das Wahrzeichen von Farrow. Ich lauschte einen Augenblick und hörte nichts, deshalb drückte ich behutsam die polierte Klinke nieder – verschlossen. Mein Gürtelmesser war ein zu grobes Werkzeug für diese Feinarbeit, die Geduld und Fingerspitzengefühl erforderte. Das gelbe Hemd klebte schweißnaß an meinem Rücken, bevor der Riegel innen sich hob. Ich drückte die Tür einen Spalt auf, schlüpfte hindurch und schloß sie hinter mir wieder.
Dies war unzweifelhaft Edels Gemach. Nicht sein Schlafgemach, aber immerhin. Ich sah nicht weniger als vier große Kleiderschränke, zwei an jeder Seitenwand, mit je einem mannshohen Spiegel in der Mitte. Die geschnitzte Tür eines der Schränke klaffte auf, oder vielleicht ließ sie sich wegen der Masse der Kleider nicht vollkommen schließen. Weitere Kleidungsstücke hingen im ganzen Raum verteilt an Haken und Ständern oder waren über Stühle drapiert. Eine Reihe verschlossener Schubladen in einer kleinen Kornmode enthielt wahrscheinlich Schmuck. Die Spiegel zwischen den Schränken wurden von zwei mehrarmigen Wandblakern flankiert, deren Kerzen dem Erlöschen entgegenflackerten. Zwei kleine Räuchergefäße waren links und rechts von einem einzelnen Sessel plaziert, der vor einem dritten Spiegel stand. Ein Tisch etwas hinter und neben diesem Sessel war übersät von Bürsten, Kämmen, Pomade und Parfumflakons. Aus einem der Räuchergefäße kräuselte sich noch ein dünner grauer Rauchfaden. Ich rümpfte die Nase über den süßlichen
Weitere Kostenlose Bücher