Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
eingedämmt hatte oder vielleicht auch schon vorher, würde er an mich denken. Wenn man den alten Beschließer entdeckte, der von einem Wolf getötet worden war, glaubte bestimmt niemand mehr, daß ich in meiner Zelle den Tod gefunden hatte, und die Jagd würde beginnen. Berittene würden ausschwärmen und Merle und Krähe bald aufgespürt haben. Außer, es gab eine andere, vielversprechende Fährte, eine, die quer durch die pfadlosen Berge nach Jhaampe wies. Schnurgerade nach Westen.
Es würde nicht leicht sein. Ich hatte keine genaue Vorstellung davon, was zwischen mir und der Hauptstadt der Chyurda lag. Das Bergreich war nur dünn besiedelt, von Fallenstellern, Jägern, Schaf- und Ziegenhirten, die in einsam gelegenen Hütten oder kleinen Weilern lebten. Das bedeutete, nur selten würde ich Gelegenheit haben, Essen oder Vorräte zu erbitten oder zu stehlen. Größere Sorgen bereitete mir allerdings die Vorstellung, mich unversehens an der Kante einer tiefen Schlucht wiederzufinden oder einer Klamm, durch die tosend ein eisiger Wildbach schäumte.
Weshalb sich jetzt schon deswegen den Kopfzerbrechen, hielt Nachtauge meiner Schwarzseherei entgegen. Wenn wir vor einem Hindernis stehen, müssen wir einen Weg finden, es zu umgehen. Vielleicht verlieren wir Zeit, aber wir kommen nie irgendwo an, wenn wir herumstehen und grübeln.
Also machten wir uns auf den Weg, Nachtauge und ich. Wann immer wir zu einer Lichtung kamen, studierte ich die Sterne und bemühte mich, möglichst genau nach Westen zu wandern. Das Terrain wurde meinen Befürchtungen vollauf gerecht. Absichtlich wählte ich Strecken, die für einen Mann zu Fuß und einen Wolf besser geeignet waren als für Reiter. Wir zogen eine Spur unwegsame Steilhänge hinauf und arbeiteten uns durch Gestrüpp in engen Klüften. Jedesmal, wenn dürre Zweige mein Gesicht peitschten oder ich keuchend eine steile Anhöhe erklomm, tröstete ich mich mit der Vorstellung, daß inzwischen Merle und Krähe auf der Straße einen immer größeren Vorsprung gewannen. Aber gesetzt den Fall, die Verfolger waren so zahlreich, daß sie sich aufteilen konnten, um mehr als einer Spur zu folgen... Nein. Sobald ich mich tief genug in den Bergen befand, mußte ich Burl dazu bringen, daß er das ganze Aufgebot hinter mir her schickte. Um das zu erreichen, fiel mir kein anderes Mittel ein, als daß ich ihn von meiner Gefährlichkeit überzeugte, ihn glauben machte, ich sei eine Bedrohung für seinen König, die umgehend ausgemerzt werden mußte.
Ich hob den Blick zum Grat einer Klippe. Unter den drei Zedern, die dort geschwisterlich beisammenstanden, würde ich rasten, Feuer machen und mich der Gabe bedienen. Da ich keine Elfenrinde hatte, war es geraten, Vorkehrungen zu treffen, daß ich mich anschließend ausruhen konnte.
Ich werde wachen, versicherte Nachtauge mir.
Die Zedern waren riesig, ihre Wipfel so dicht verwoben, daß sie wie ein Schirm den Schnee aufgefangen hatten. Ein duftender Teppich aus Nadelbüscheln und Zapfenschuppen bedeckte den Boden am Fuß der Stämme. Ich scharrte mir davon einen Haufen als wärmendes Polster zusammen. Anschließend sammelte ich einen reichlichen Vorrat an Brennholz. Zum erstenmal warf ich einen Blick in den Beutel, den ich der Toten in Mondesauge abgenommen hatte. Ein Feuerstein, fünf, sechs Münzen, zwei Würfel, ein zerbrochener Armreif und, eingefaltet in ein Stück Stoff, eine seidige Haarlocke. Resümee eines Soldatenlebens. Ich kratzte mit dem Messer die Erde auf und begrub Locke, Würfel und Armreif in der kleinen Mulde. Dabei bemühte ich mich, nicht darüber nachzudenken, ob es ein Kind oder ein Liebster war, den sie zurückließ. Weshalb sollte ich mir Gewissensbisse machen. Sie war nicht von meiner Hand gestorben. Dennoch: In meinem Unterbewußtsein wisperte eine kalte Stimme »Katalysator«. Wäre ich nicht gewesen, könnte die Soldatin noch am Leben sein. Einen Augenblick lang fühlte ich mich alt und müde und krank, dann aber zwang ich mich, sowohl das Schicksal der Soldatin als auch mein eigenes in den Hintergrund zu schieben. Ich zündete das Feuer an, schürte es kräftig und stapelte den Rest Brennholz in Reichweite auf. Alle Vorbereitungen waren getroffen. Ich wickelte mich in meinen Umhang und legte mich auf das Bett aus Zedernnadeln. Gleichmäßig atmete ich mehrmals ein und aus, schloß die Augen und überließ mich der Gabe.
Es war, als wäre ich in einen reißenden Strom gestürzt. Nach meiner letzten Erfahrung war ich
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