Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
sich jemand dorthin, abgesehen von Pelztierjägern oder gelegentlich Abenteurern, die es hinaustreibt, um zu sehen, ob die alten Sagen ein Körnchen Wahrheit enthalten. Gewöhnlich kehren sie mit eigenen Geschichten zurück, die noch wundersamer sind als die, deretwegen sie ausgezogen sind.«
Ich schaute zu, wie ihr weißer Finger über die Landkarte wanderte. Die schwach zu erkennende Linie der Straße teilte sich schließlich in drei verschiedene Pfade, die in unterschiedliche Richtungen auseinanderstrebten. Was immer an ihrem Ende eingezeichnet gewesen war, war von der Zeit fast bis zur Unkenntlichkeit ausradiert worden. Wir konnten nur raten, für welche Richtung Veritas sich entschieden hatte. Obwohl die Entfernungen zwischen den Pfaden auf der Karte geringfügig aussahen, verhielt es sich in Wirklichkeit vielleicht so, daß man, auch bedingt durch das felsige Terrain, Tage oder gar Wochen brauchte, um von einem zum anderen zu gelangen. Ich für meinen Teil gestattete mir überdies, daran zu zweifeln, ob die alten Kartographen es mit dem Maßstab immer so peinlich genau genommen hatten.
»Wo fangen wir an?« fragte ich.
Kettricken zögerte kurz, dann tippte sie auf den Endpunkt eines der Pfade. »Hier. Meiner Schätzung nach liegt er uns am nächsten.«
»Dann ist es eine kluge Wahl.«
Sie hob den Blick von der Karte und schaute mir ins Gesicht. »Fitz, könntest du nicht einfach zu ihm denken und ihn fragen, wo er ist? Oder ihn bitten, uns entgegenzukommen? Oder ihn wenigstens fragen, weshalb er nicht zu mir zurückgekehrt ist?«
Bei jedem verneinenden Kopf schütteln wuchs ihre Erregung. »Warum nicht?« fragte sie mit schriller Stimme. »Diese mächtige und geheimnisvolle Magie der Weitseher taugt nicht einmal dazu, ihn in dieser Not zu uns zu rufen? «
Ich wünschte mir, wir wären nicht von so vielen lauschenden Ohren umgeben gewesen. Trotz allem, was Kettricken über mich wußte, hatte ich noch immer große Vorbehalte, mit jemand anderem als Veritas über die Gabe zu sprechen. Ich wählte meine Worte sorgfältig. »Wenn ich zu ihm denke, könnte ich ihn unter Umständen in große Gefahr bringen, Majestät. Oder uns.«
»Wie das?«
Der Narr, Krähe, Merle – wie vertrauenswürdig waren sie? Wirklich, es kostete mich Überwindung, offen über eine Magie zu sprechen, die seit vielen Generationen das Geheimnis der Weitseher gewesen war. Aber dies war meine Königin, und sie hatte mir eine Frage gestellt. Ich gab mir einen Ruck. »Galens Kordiale war niemals loyal dem Königshaus gegenüber. Sie war von Anfang an das Werkzeug eines Verräters und wurde benutzt, um Zweifel an der Regierungskunst des Königs zu wecken und an seiner Fähigkeit, das Königreich zu verteidigen.«
Von Krähe ein abgehackter Atemzug, während kalter Zorn Kettrickens blaue Augen stahlgrau färbte. Ich fuhr fort: »Selbst hier und jetzt, würde ich versuchen, zu Veritas zu denken, könnten sie eine Möglichkeit finden, uns zu belauschen und, der Spur der Gabe folgend, ihn ausfindig machen. Oder uns. Sie sind stark in der Gabe geworden, und sie verstehen sie einzusetzen, wie ich es nie gelernt habe. Sie bespitzeln andere Gabenkundige, und sie besitzen die Fähigkeit, allein mit der Gabe Schmerz zuzufügen oder Trugbilder zu erzeugen. Ich fürchte mich, zu meinem König zu denken, Majestät, und daß er ebenfalls darauf verzichtet, mit mir Verbindung aufzunehmen, läßt mich vermuten, daß er die gleiche Befürchtung hegt wie ich.«
Kettricken war kreidebleich geworden, während ihr die Tragweite dessen, was ich gesagt hatte, zu Bewußtsein kam. Leise fragte sie: »Niemals loyal gegenüber dem König, Fitz? Sag mir, haben sie nicht dabei geholfen, die Sechs Provinzen zu verteidigen?«
Ich wog meine Worte mit soviel Sorgfalt ab, als wäre sie Veritas, dem ich Bericht erstattete. »Ich habe keine Beweise, Majestät. Doch ich vermute, daß Warnungen vor Roten Schiffen manchmal gar nicht übermittelt oder aber zurückgehalten wurden. Befehle, die Veritas zu Angehörigen der Kordiale in den Türmen dachte, wurden nicht an die Burgen im Hinterland weitergegeben. Sie gingen so geschickt vor, daß Veritas nicht merkte, daß seine Nachrichten und Befehle Stunden zu spät die Empfänger erreichten. Den Herzögen mußten seine Anstrengungen unzureichend, seine Verteidigungsmaßnahmen schwerfällig oder dumm erscheinen.« Der heiße Zorn, der in Kettrickens Augen loderte, ließ mich verstummen.
»Wie viele Leben?« fragte sie mit
Weitere Kostenlose Bücher