Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
der geschicktere im Umgang mit dem Knüppel war. Während Imme und Melisma sich des größeren zu erwehren suchten, zwang ich den anderen, sich mir zuzuwenden. Mein erster Hieb traf seine Unterschenkel. Ich wollte ihn kampfunfähig machen oder wenigstens zu Fall bringen. Aufbrüllend fuhr er zu mir herum, ließ aber sonst keine Wirkung erkennen.
Noch eine Eigenart, die mir bei den Entfremdeten aufgefallen war: Sie schienen weitgehend unempfindlich gegen Schmerzen zu sein. Was mich in Edels Folterkammer, unter den Fäusten seiner Schergen, bis in den Kern meines Wesens erschüttert hatte, war das Entsetzen über die Beschädigung meines Körpers gewesen. Eigenartig festzustellen, daß ich eine gefühlsmäßige Bindung zu meinem eigenen Körper besaß. Mein tief verwurzeltes Verlangen, ihn unversehrt zu erhalten, ging weit über das simple Vermeiden von Schmerzen hinaus. Ein Mann ist stolz auf seinen Körper. Jede Unbill, die ihm widerfährt, verletzt mehr als nur das Fleisch. Edel wußte das. Er hatte gewußt, daß jeder Schlag seiner Handlanger meine Angst vergrößerte: Wieviel konnte ich noch ertragen? Wann war die Grenze überschritten und ich wieder der kränkelnde Invalide, der nach Anstrengungen zitterte und in Angst vor den Anfällen lebte, die ihm die Herrschaft über Verstand und Glieder raubten? Diese Furcht hatte mich nicht weniger zermürbt als ihre Fäuste. Entfremdete schienen diese Furcht nicht zu kennen; vielleicht, weil sie die Bindung zu allem anderen verloren, das ihnen je etwas bedeutet hatte, verloren sie auch die liebevolle Verbundenheit mit ihrem Körper.
Mein Gegner wirbelte herum und versetzte mir einen Schlag mit seinem Knüppel, den ich mit meinem Stab parierte; aber ich spürte den Aufprall bis in die Schultern. Kleiner Schmerz, wisperte mein Körper und horchte auf mehr. Er schlug wieder nach mir, und wieder parierte ich. Nachdem ich ihn einmal in den Zweikampf verwickelt hatte, gab es für mich keine Möglichkeit mehr, den Rückzug anzutreten und zu fliehen. Er verstand seine Keule zu gebrauchen – vermutlich ein ehemaliger Soldat und im Kampf mit der Axt geschult. Ich erkannte die Manöver und begegnete ihnen entsprechend, blockte ab oder parierte. Ich meinerseits wagte nicht anzugreifen, zu groß war meine Angst vor dem Überraschungsschlag, der unversehens meine Deckung überwand, falls ich nicht ständig aufpaßte. Der Entfremdete hatte so wenig Mühe mit mir, daß er ab und zu über die Schulter blickte; wahrscheinlich spielte er mit dem Gedanken, mich einfach stehenzulassen und sich den Mädchen zuzuwenden. Ich raffte mich zu einem zaghaften Ausfall auf, er zuckte kaum. Weder schien er müde zu werden, noch gab er mir Spielraum, damit ich den Vorteil der längeren Waffe ausnutzen konnte. Im Gegensatz zu mir wurde er auch nicht von den Rufen und Schreien der Vaganten abgelenkt, die sich nach besten Kräften verteidigten. In dem Wald, der die Straße säumte, hörte man in einiger Entfernung eine Männerstimme fluchen, dazwischen raubtierhaftes Knurren. Nachtauge hatte sich an den dritten Entfremdeten angeschlichen und versucht, ihm die Knieflechsen durchzubeißen. Es war ihm nicht gelungen. Jetzt umkreiste er den Mann, wohlweislich außerhalb der Reichweite des Schwertes in dessen Hand.
Dieses scharfe Eisen gefällt mir nicht, Bruder, aber sei unbesorgt. Er wagt es nicht, mir den Rücken zuzukehren, um sich zu seinem Rudel zu gesellen.
Sei vorsichtig! Ihm mehr zu sagen, hatte ich keine Zeit, weil der Mann mit der Keule meine ungeteilte Aufmerksamkeit verlangte. Er ließ mich kaum Atem holen, und bald merkte ich, daß er auf ein schnelles Ende aus war. Er glaubte, alle Vorsicht fahrenlassen zu können und bemühte sich mit vermehrter Kraft, meine Deckung zu durchbrechen. Jeder Hieb, den ich mit meinem Stab parierte, pflanzte sich bis in meine Schultern fort. Jede Erschütterung rief alte Schmerzen auf den Plan, weckte verheilte Wunden, an die ich längst nicht mehr gedacht hatte. Und ich ermüdete. Jagen und marschieren tat für den Körper nicht das gleiche, was die schwere Arbeit am Ruder bewirkte. Nagender Selbstzweifel höhlte meinen Kampfgeist aus. Ich sah mich am Boden liegen, wehrlos dem niedersausenden Knüppel ausgeliefert und gelähmt vor Angst, war ich unfähig zu einer koordinierten Gegenwehr. Die verzweifelte Entschlossenheit, Verletzungen zu vermeiden, ist nicht das gleiche wie die Entschlossenheit zu siegen. Ich bemühte mich, Abstand von ihm zu gewinnen, um
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