Die Legende von Skriek 1 - Das Attentat
ein kleines Lagerfeuer. Jeder hat seinen eigenen Proviantbeutel vor sich liegen. Keinen kommt es in den Sinn, sein Essen mit einem anderen zu teilen. Ich hätte ein Fass Bier aus meiner Höhle mitnehmen sollen. Es würde die drückende Stille rund ums Feuer erträglicher machen. Nachdem alle aufgegessen haben, rollen wir uns in unsere Decken. Ich kann lange nicht einschlafen. Unruhig wälze ich mich unter meiner Decke hin und her. Viele Gedanken kreisen in meinem Kopf und mir wird erst jetzt so richtig bewusst, dass ich mich höchstwahrscheinlich auf meiner letzten Reise befinde. Vielleicht gelingt es uns ja tatsächlich, König Angrias zu töten, aber dass wir dann heil und unbeschadet den Turm von Yestshire verlassen können, erscheint mir sehr unwahrscheinlich. Außerdem würden uns die ostalischen Häscher über den ganzen Kontinent unerbittlich verfolgen. Nein, ich rechne nicht damit, diese Reise zu überleben. Aber irgendwie macht es mir auch nicht wirklich viel aus. Ich habe das Alleinsein satt. Und mir ist mittlerweile klar, dass man sich auch in einer Gruppe sehr einsam fühlen kann. Vielleicht sogar noch mehr als wenn man wirklich ganz alleine ist. Ich sehne mich nach meiner Höhle und meinem Wasserfall. Dort würde ich mich verkriechen und von der Außenwelt völlig abschließen können. Es lastet auf meinem Gemüt, dass ich ohne Hoffnung bin. Es gibt auf der ganzen Welt wahrscheinlich kein weiteres Wesen, dass ebenso beschaffen ist wie ich. Ich bin ein Bastard, halb Mensch, halb Skriek. Mit der Sippe meiner Mutter kann und will ich nicht leben. Die Menschen hassen und jagen mich. Ebenso die Riesen, Gnome, Kobolde und Trolle. Ich habe keine Freunde, keine Verwandten. Niemand will in meiner Nähe sein. Bei meinen Reisegefährten bin ich nur geduldet, weil Erik Anfohrrnus das so will. Und der Zauberer braucht mich auch nur, weil ich für ihn die glatten Wände eines Turmes erklimmen soll.
Mit meiner rechten Hand umfasse ich mein Stieramulett. Ich bete zu Thurantuh. Leise und flüsternd. Mein Gott ist in der Nähe. Ich kann ihn spüren. Und hören. Er erzählt mir vom Norden. Von den kalten, eisigen Landen. Von den einsamen Jägern, die durch den tiefen Schnee stapfen. Verlassen und verloren. Und doch voller Kraft und Stärke. Endlich kann ich einschlafen. Ich weiß jetzt, dass meine Einsamkeit eine Waffe ist. Thurantuh hat es mir gesagt. Die Einsamkeit ist wie ein Schutzpanzer, der mir hilft, das Richtige zu tun. Und das einzig Richtige für mich ist es, Thurantuh zu dienen.
Nach einem knappen Frühstück ziehen wir weiter. Heute ist es ein wenig bewölkt und die Sonne scheint nicht mehr ganz so warm wie an den beiden letzten Tagen. Unser Reisetempo ist weiterhin gemächlich. Wir durchqueren den östlichen Zipfel Telberiens und erreichen die Ausläufer des Dranus, eines wahrhaft mächtigen Stromes, auf dem zahlreiche Kahne und Schiffe fahren. Wir wenden uns nach Norden und folgen dem Lauf des Dranus. Am Nachmittag sehen wir aus der Ferne Brack, die Hauptstadt Timions. Wir verlassen die Ufer des Dranus und begeben uns noch nördlicher. Bald befinden wir uns in Burgisien, das ebenso wie Telberien und Timion schon vor vielen Jahren von König Angrias erobert worden ist. Das Gelände wird steiler und felsiger, die Laubbäume werden weniger, man sieht immer öfter Nadelbäume.
Ostalische Wimpel hängen in den Ästen, zwei Mal sehen wir eine Patrouille. Schließlich hält Kathinka an und sagt, dass wir hier rasten und etwas essen.
»Wann erreichen wir die Amazonen?«, frage ich, nachdem ich einen Schluck Wasser getrunken habe. Es sind die ersten Worte, die ich heute spreche.
»Du wirst es schon noch früh genug merken, wenn wir da sind«, sagt Kathinka unfreundlich und fasst nach ihrem Wasserschlauch.
»Wie du meinst, Lady.« Ich betone »Lady« ebenso verächtlich, wie es Romaldo zu tun pflegt.
Der Prinz aus Harba gluckst hämisch.
Kathinka ballt ihre Hände zu Fäusten und blickt mich böse an. »Du bist ein Tier«, knurrt sie.
»Das sagtest du schon«, gebe ich zurück, lehne mich an den Stamm einer Föhre und beschließe, Kathinka für den restlichen Tag völlig zu ignorieren. Doch plötzlich steigt mir eine Witterung in die Nase. Ich schnuppere und lausche. Pferde sind zu hören. Waffen klirren leise. Ein Mann gibt Befehle.
Ich stoße mich vom Stamm ab, stülpe die Kapuze meines Mantels über meinen Kopf und ziehe meine Äxte.
Romaldo wirbelt zu mir herum und seine Hand zuckt zum Rapier. Er
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