Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)
auf die Schulter.
Das alte Vertrauen zwischen uns kehrt zurück. Das Band ist bald neu geflochten. Tirîgon freute sich über die Geste. Er betrachtete die Runen genauer, die unter die Unterschriften der Siedlungen gezeichnet waren. »Ich kann mich täuschen, aber sie erinnern mich ein wenig an die Buchstaben unseres Volkes.« Er hielt das Blatt seinem Bruder hin.
Nachdenklich sah Sisaroth auf die geschwungenen Linien. »Ich weiß nicht … Denkst du nicht, dass du dir das einbildest?«
»Mag sein. Tossàlor wird es besser einschätzen können.« Tirîgon bewegte die Arme. Nichts rieb, nichts knirschte. Dieser Schrumpfbastard hat hervorragende Arbeit geleistet. »Sitzt deine Rüstung ebenso gut wie meine?«
»Ja. Der Unterirdische versteht sein Handwerk. Ich würde das vor seinen Ohren nicht zugeben, aber ich denke, dass er mindestens so gut wie unsere Besten ist.« Dass er Tungdils Geschick in Wahrheit noch höher einschätzte, schwang in seinem Tonfall mit. »Ich bin sehr auf die Schwerter gespannt, die er uns liefert.« Er rang nach Luft und hustete dumpf und dunkel. Er spie einen dicken, rötlichen Schleimklumpen aus. »Die Nachwirkungen des Giftdunstes«, kommentierte er.
»Geht es dir besser?«
»Ich hoffe es. Meine Lunge fühlt sich geschrumpft an, als gehörte sie einem Neugeborenen. Mein Atem rasselt, und das Gehen strengt mich an.« Sisaroth spuckte nochmals. »Die gute Luft in unserem Palast wird mich schnell heilen.« Er lachte. »Spätestens wenn Firûsha ihre Stimme erhebt, werden meine Leiden von den Tönen hinfortgerissen und verfliegen.«
»Ich wünsche es uns. Ich brauche dich.« Tirîgon waren die Worte sehr ernst. »Wir haben unsere verschiedenen Ansichten, wenn es um Phondrasôn und unsere nahe Zukunft geht. Aber wir beide wollen das Gleiche wie unsere Schwester: nach Hause. Nach Dsôn. Zu unseren Eltern. Und diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die euch falsch beschuldigten.«
»Du sagst es. Und ich muss dir auch für deine Weitsicht gratulieren. Es war klug, eine Festung zu errichten und ein Reich zu formen.« Sisaroth sah auf seinen Plan und leitete sie durch die Gänge. »Ohne unseren Rückzugsort könnten uns die Karderier durch die Höhlen hetzen, bis sie uns in die Enge trieben und vielleicht sogar besiegten. Das hast du verhindert.«
Tirîgon war gerührt, weil er die Aufrichtigkeit in den blauen Augen seines Bruders sah. »Und ich werde mein Verhalten ändern«, gab er nach. »Mein Bestreben wird sich stärker auf die Suche nach einem Weg nach oben ausrichten. Mir schwebt vor, die Bewohner unserer Vasallenhöhlen als Suchmannschaften einzusetzen. Sobald wir die Karderier und ihre Verbündeten besiegten.«
Sisaroth schwieg.
Was hat er? »Ich dachte, du freust dich?«
»Mir fiel ein, dass Firûsha sagte, die Karderier wären in der Lage, ihre Gestalt zu verändern.« Sein Mund verzog sich, er unterdrückte ein Husten. »Wie finden wir heraus, ob sie bereits unter uns weilen? Als Garde in unserem Palast, als Soldat in der Festung oder als Wache an einem der Tore?«
»Bei den Infamen!« Auf diesen sehr naheliegenden Gedanken war Tirîgon nicht gekommen, was ihn äußerst ärgerte. Dabei wäre es für sie einfach. Wir haben viele neue Albae bei uns aufgenommen. »Du hast recht! Sie könnten uns längst unterwandert haben.« Etwa achthundert Albae hatten sie um sich versammelt. Wie finden wir heraus, ob es tatsächlich Angehörige unseres Volkes sind? Verflucht, wie konnte ich diese Gefahr übersehen? »Wir fragen Marandëi. Sie wird einen Zauber kennen oder einen ersinnen, um Karderier zu entlarven«, hoffte er.
»Es könnte vielleicht ausreichen, wenn wir die Truppen antreten lassen und so tun, als wären wir in der Lage, eine Täuschung durch Karderier offenzulegen. Möglicherweise zeigt ein falscher Alb Nerven und entlarvt sich selbst?«, merkte Sisaroth an. »Das sollte unsere erste Handlung sein, sobald wir im Palast sind.« Er beschleunigte seine Schritte, obwohl ihn ein neuerlicher Hustenreiz schüttelte.
Tirîgon lief ebenfalls schneller und verstaute den Vertrag zwischen den Karderiern und den Dörfern wieder. Es war ein untrüglicher Beweis, den man noch benötigte. Dann nahm er seinem Bruder wortlos den Proviantrucksack ab und schleppte ihn zusätzlich zu seinem und Firûshas Rüstung. Dafür bekam er wieder ein Lächeln. Ein aufrichtiges, herzliches Lächeln.
Hat es so kommen müssen? Erlegte uns Samusin diese Prüfung auf, damit unsere Einigkeit unzerstörbar wird?
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