Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)
der bis zu seiner Spaltung führen könnte?
Er betrat das erste seiner Zimmer, legte die Rüstung und das Untergewand ab, wusch sich und kleidete sich neu für die Reise.
Die abwägenden Gedanken verließen ihn nicht, und so beschloss er, zunächst zu erfahren, wie groß Shëidogîs’ Macht tatsächlich war. Der Infame muss mich erst überzeugen.
Phondrasôn
Firûsha befand sich in der Wachstube der Festung. Seit der Attacke des Karderiers trug sie die Rüstung, die der Unterirdische für sie angefertigt hatte. Die Bleche und Platten schmiegten sich um sie, verursachten kein Geräusch; das geschwärzte, teilverzierte Metall war äußerst leicht.
Sie durchsuchte die Sachen der getöteten Iòsunta und Acòrhia. Ihr Antrieb waren Neugier und die Hoffnung, etwas in den Rucksäcken zu finden, was noch mehr frohe Kunde aus Dsôn verhieß. Bitte, ein Zettel oder ein Brief oder … eine Karte mit der Strecke, die sie zurücklegten!
Doch außer zwei phiolenartigen Fläschchen, die zum Schutz mit einer Lederhülle versehen waren, gab es nichts Auffälliges. Das Wissen um einen Weg hinaus war mit den beiden Albinnen gestorben.
Was mag darin sein? Beide Gegenstände waren bei Acòrhia gefunden worden, einer unter ihrer Rüstung, der andere in ihrem Rucksack.
Firûsha öffnete den Verschluss und roch vorsichtig daran. Leicht ranzig, trübgolden. Öl? Sie verstand es nicht.
Was sie ins Grübeln brachte, waren die winzigen Fleckchen im Inneren von Iòsuntas Rucksack und an ihrem Kragen, die sehr gut zu der Flüssigkeit passten und auch die gleiche Farbe aufwiesen. Eine dazugehörige Phiole gab es nicht.
In ihr keimte der Verdacht, dass Acòrhia die Phiole von Iòsunta an sich genommen hatte. Vor dem Kampf gegen den Karderier? Aber zu welchem Zweck? Warum war das Gefäß wichtig für sie? Das ließ die heldenhafte Albin in einem neuen Bild erscheinen. Außerdem war Firûsha sich sicher, die Tote schon einmal in Dsôn gesehen zu haben. War sie nicht eine bekannte Persönlichkeit? Bei welcher Gelegenheit begegnete sie mir?
Die Tür hinter ihr öffnete sich mit einem leisen Quietschen.
»Verzeih, dass ich dich störe«, sagte Crotàgon, zu dem sie sich umwandte. »Aber wir haben einen Neuling.« Sein Antlitz spiegelte inneren Aufruhr und Sorge.
Einen Neuling, der bald einem Schädel geopfert werden soll. Firûsha sah dem Hünen an, dass ihre Gedanken sich ähnelten. »Meinst du, wir sollen ihn abweisen?« Die Ablehnung eines Angehörigen ihres eigenen Volkes erschien in Phondrasôn grausam, doch es bewahrte ihm das Leben. Zumindest vorübergehend.
»Du solltest dich zumindest mit ihm unterhalten. Er … kommt aus Dsôn, ohne ein Verbannter zu sein«, erwiderte er.
»Du hast sichergestellt, dass es kein Karderier ist?«
»Die Verwundungen würde sich kein Wesen selbst zufügen, nur um uns zu täuschen.«
»Dann sandte mein Vater wohl einen weiteren Freiwilligen auf die Suche nach uns.« Sie erhob sich und ging mit Crotàgon, der sich um eine Antwort herumwand, sondern ein brummendes Geräusch von sich gab. »Nein?«
»Nein. Doch das sollst du selbst hören. Ich habe Tossàlor dazugeholt, wenn es dir recht ist. Ich weiß, dass er …« Crotàgon überlegte. »Ihr alle seht in ihm keinen Nutzen, weil er sich weigert, Wach- oder Kriegsdienst zu leisten. Aber sein Verstand ist scharf. Schärfer als seine Messer.«
Firûsha legte ihm eine Hand auf den breiten Rücken. »Ich höre seinen Ratschlag gerne.« Solange er mir nicht an die Knochen will.
Sie betraten erneut das Krankenlager, wo ein Alb in einem blutverschmierten Bett lag; von den Laken rannen rote Tropfen und sammelten sich in kleinen Lachen am Boden. Die Verstümmelungen würden ihn in die Endlichkeit führen, das sah die Albin auf den ersten Blick. Die Verbände waren durchtränkt, die Blutungen ließen sich nicht aufhalten.
Draïlor und Horogòn, die beiden Heiler, berieten sich eben, als sie mit dem Hünen näher kam. Ihre Lederschürzen starrten vor Rot, das von dem Neuling stammte.
»Gut, dass du erscheinst. Ich fürchte, er wird nicht lange wach sein«, sagte Horogòn mit gesenkter Stimme. »Die Wunden wurden ihm mit vergifteten Waffen geschlagen. Auch das Abbinden mit einer Aderpresse führte zu kaum einem Erfolg. Wir verabreichten ihm einen Trank gegen die Pein. Wenn du etwas von ihm wissen möchtest, beeile dich.«
Firûsha trat an die Liege. Dabei musste sie durch die Pfützen gehen, ihre Sohlen hinterließen rote Abdrücke auf den Steinen. Das
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