Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)
fürchtete sich davor, dass sich Shëidogîs, oder wer immer sich darin verbarg, gegen sie alle wandte. In einem wichtigen Augenblick. In einer Schlacht.
Firûsha ahnte von den Opfern, die Sisaroth dem Schädel brachte, und es missfiel ihr. Tirîgon dagegen akzeptierte es, weil er die überwiegenden Vorteile sah. Die Nachteile blendete er aus. Sein taktisches Denken.
Der einzige Verbündete, den sie im Palast besaß, war Crotàgon: Der Tod seiner heimlichen Liebe Tossàlor hatte ihn zum unversöhnlichen Feind des Infamen werden lassen.
Sisaroths Schilderungen über den mörderischen Streit in der Kammer, der zwischen den beiden Albae um den Schädel entbrannt war, glaubte der Krieger.
Crotàgon hatte daraufhin mit versteinerter Miene davon berichtet, wie er eine Veränderung an Tossàlor bemerkte, seit dieser den Schädel zusammengeleimt und ihm zu neuer Schönheit verholfen hatte. Das Wort Besessenheit war gefallen.
Crotàgon hatte daraufhin die Zerstörung des Artefaktes gefordert, aber Sisaroth und Tirîgon lehnten es ab. Der eine aus persönlichen, der andere aus strategischen Gründen. Daran änderte sich nichts.
Firûsha fand den Anblick der schwappenden, rötlich gelben Wellen betörend und inspirierend.
Sie erhob ihre Stimme und sang ein spontanes Lied, schuf dazu passende Textzeilen, die ihr in den Sinn kamen. Eine Ode an den Glassee, dessen Schönheit und Gefährlichkeit eins waren. Die geringste Berührung reichte aus, um einen Finger, eine Gliedmaße oder das Leben zu verlieren. Die Hitze der Flüssigkeit ließ nichts von einem Leib übrig. Und doch fand Firûsha den Gedanken reizvoll, ein Bad darin nehmen zu können.
Ihr Lied endete. Ihre Gedanken nicht.
Wie es sich anfühlt, von weichem Glas umschmeichelt zu werden? Welches beneidenswerte Geschöpf könnte dazu in der Lage sein? Sie lehnte sich an den Fensterrahmen, genoss die Wärme, die ins Zimmer strömte.
Es klopfte.
»Herein.«
Crotàgon trat ein, gekleidet in ein leichtes Gewand, und verneigte sich, kam näher. »Es ist wieder an der Zeit.« In einem länglichen Sack trug er Holzschwerter mit sich.
Firûsha sah ihn erstaunt an. »Jetzt schon?«
»Die Wachen sind eingeteilt, die Späher nicht zurück, und die Tore sind seit Sisaroths magischer Sicherung der Eingänge uneinnehmbar. Was soll geschehen?«, erklärte er sein verfrühtes Auftauchen. Er legte den Sack auf den Tisch, entfernte die Kordel und schüttelte die Übungswaffen heraus. Er nahm zwei und warf sie Firûsha zu, er selbst griff sich eine. »Ich weiß, du benötigst keine Ausbildung mehr. Du bist mindestens so gut wie ich und viel, viel wendiger«, sprach er. »Es geht dabei nur noch um mich.« Crotàgon ließ die Muskeln zucken. »Ich mag es, mich mit Besseren zu messen.«
Firûsha musste lachen. »Du schmeichelst mir.«
»Nein, das tue ich keineswegs. Du hast letztens Tirîgon im Zweikampf besiegt. Höchstens Sisaroth wäre noch ein Gegner für dich, aber leider verbringt er die Momente der Unendlichkeit damit, sich um diesen Schädel zu kümmern, und hat keinen Sinn mehr für das Schwert.« Er begab sich in die Mitte des Raumes und erwartete sie. »Fordere mich, Firûsha.«
Die Albin trug ein leichtes Kleid. Jeder seiner Hiebe würde schmerzhaft sein, konnte Knochen brechen. Es lebe die Herausforderung. Sie grinste. »Schauen wir, wie oft ich dich treffe, mein lieber Crotàgon.« Firûshas Körper stand unter Spannung, sie machte sich bereit.
Von der Tür her erklang ein Räuspern, das sie in ihrer Angriffsvorbereitung unterbrach.
Firûsha und Crotàgon blickten zum Eingang, wo Balodil wartete.
»Ein Übungskampf?« Der Unterirdische trug eine Holzkiste, hinter ihm stand eine Gardistin, die ein überlanges Schwert schleppte. »Da komme ich ja sehr gelegen«, sprach er gut gelaunt und trat ein.
Balodil schien direkt aus der Schmiede zu kommen. Er trug eine Hose, die viele Brandflecke aufwies, Stiefel und über seinem freien Oberkörper eine lange Lederschürze, die nicht minder ramponiert als die Hose aussah. Die leere Augenhöhle wurde von einer verzierten Klappe aus purem Gold bedeckt, die dank dünner Fäden des Edelmetalls mit dem Fleisch verbunden blieb, sodass er keinen störenden Riemen mehr benötigte.
»Du bist immer willkommen, Balodil«, sprach Firûsha, ohne es wahrhaft zu meinen. Sie blickte kurz zu Crotàgon, dem das Missfallen anzusehen war. Sie teilten die Sorge, dass der Unterirdische eines unerwarteten Moments seinen wahren Verstand
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