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Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)

Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)

Titel: Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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mehr. Durch das Oberlicht fiel trübe Helligkeit, Regen und Schnee landeten mit leisen Geräuschen auf der dicken Glaskuppel.
    Ranôria hatte gehofft, ihr Verstand fände eine Ungereimtheit, einen kleinen Fehler in der Schilderung. Acòrhia ist zu gut vorbereitet.
    Was man der Geschichtenweberin höchstens zum Vorwurf machen konnte, war die Tatsache, dass ihre Erzählung komplett identisch mit dem war, was Aïsolon bei der Befragung notiert hatte. Bis ins letzte Wort hinein.
    Acòrhia kann den Ablauf ersonnen und ihn den anderen sechs eingebläut haben, sinnierte sie. Zu beweisen vermochte sie es nicht. Sie zwang sich, den umgekehrten Weg bei ihren Überlegungen zu nehmen – und kam auf eine Idee. Das werde ich sogleich prüfen!
    »Ranôria?« Acòrhia war mit dem Tee zurückgekehrt.
    »Ich komme«, gab sie zurück und eilte die Stufen nach unten. Sie ging zum Stuhl am Kamin, wo die Geschichtenweberin wartete.
    Der Duft des Tranks, der in einer bauchigen Glasschale auf einem Beistelltischchen dampfte, erinnerte an feuchte Erde, an Wurzeln und an Pilze. Becher aus Kristall standen bereit.
    »Ich hoffe, er schmeckt besser als er riecht?«
    »Die meisten begehen den Fehler und vergessen, ein kleines Stück Schiefer hineinzugeben«, verriet Acòrhia.
    »Schiefer? Du meinst den tückischen grauen Stein, der wie Rinde abplatzt, obwohl er eben noch fest wirkte?«
    »Pass gut auf!« Acòrhia nahm ein Säckchen aus der Gewandtasche, zog fingerlange Löffel hervor und stellte sie in die mitgebrachten Becher. Als sie den Tee einschenkte, wandelte sich dessen moorhaftes Braun innerhalb von vier Atemzügen in ein klares Beige. Die Schwebeteile hatten sich aufgelöst. »Man muss wissen, dass der Stein diese Reaktion hervorruft. Sonst würde man sich nach dem ersten Schluck erbrechen.«
    Ranôria setzte sich, nahm das Gefäß und kostete. »Schmeckt nach roten Beeren«, befand sie überrascht. »Fruchtig und süß, beinahe wie Saft! Das hätte ich niemals vermutet.«
    Acòrhia ließ sich ebenso nieder, nahm ihren Becher. »Wirst du den anderen vier auch einen Besuch abstatten oder glaubst du mir?«, fragte sie direkt und rührte in ihrem Trunk.
    »Ich stelle mir von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang die Frage, was Sisaroth veranlasst hat, derart seine Beherrschung zu verlieren«, antwortete Ranôria und stellte sich absichtlich ratlos. »Alle nehmen an, dass er es tat, um meine Schmach zu rächen. Wegen der Beleidigungen, die Sémaina gegen mich aussprach.«
    Acòrhia runzelte die Stirn, eine Hand spielte mit einer lockigen roten Strähne. »Welchen anderen Grund gäbe es für ihn? Er verteidigte die Ehre seiner Mutter, obgleich die Art und Weise nicht angebracht war und in keinem Verhältnis stand.«
    »Und wenn ihn jemand anstachelte?«
    »Ah, ich verstehe. Du meinst, weil jemand wollte, dass er es tut und verurteilt wird? Um Sisaroth und Firûsha bewusst aus dem Weg zu räumen?« Sie tippte sich mit dem Schiefersteinlöffel gegen die Unterlippe. »Du meinst, es gibt eine Verschwörung gegen deinen Sohn? Ein furchtbarer, aber doch interessanter Gedanke. Man müsste herausfinden, wem Sisaroth in die Quere gekommen ist.«
    »Nicht nur er, auch seine Geschwister«, ergänzte sie.
    »Tirîgon hatte mit dem Mord nichts zu tun.«
    »Aber er folgte ihnen nach Phondrasôn, um ihnen beizustehen und den Kontakt nach Dsôn aufrechtzuhalten. Das konnte man sich denken.« Ranôria grübelte absichtlich laut, damit sie Acòrhias Miene lesen konnte, wenn sie Andeutungen äußerte. Gib mir einen Hinweis. Nur ein Zucken, und ich bin etwas schlauer. »Wie wäre es damit: Könnte es nicht auch sein, dass sich Sémaina Feinde machte, die meinen Sohn als Mörder missbrauchten, weil sie von seinem Temperament wussten?«
    »Das wäre demnach deine zweite Mutmaßung: Sémaina musste sterben, weil es um eine ganz andere Angelegenheit als deine Schmach geht?« Die Geschichtenweberin nickte langsam. »Das erscheint möglich. Man müsste sich erkundigen, welche Gerüchte es um Tênnegor und seine Familie gibt. Vielleicht existieren alte Fehden, alte Vorwürfe und Anschuldigungen hinter vorgehaltener Hand?« Sie nippte am Becher. »Ich sehe viel Arbeit für Aïsolon. Und dich.« Acòrhia prostete ihr zu. »Ich wünsche dir von Herzen, dass sich dein Verdacht bestätigt. Möge es sich erweisen, dass Sisaroth und Firûsha als unwissende Handlanger missbraucht wurden. Der Drahtzieher wird ohne Sisaroth schwer zu fassen sein. Nur dein Sohn könnte erklären, wer

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