Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)
deinen Gott glücklich machen möchtest, gehorche.«
Sie schlüpfte aus der blutigen, zusammengestoppelten Hülle. Darunter kam ihre eigene blanke, verdreckte Haut zum Vorschein. Sie hatte mehrere tiefe Schnitte und Stiche erlitten, an denen sie bald sterben würde, wenn Tirîgon die Verletzungen richtig einschätzte. Spätestens an den Entzündungen, die sie unweigerlich bekommt.
Noch schienen die Wunden der Obboona nichts auszumachen. Zusammen mit Schild, Pfeilen und Bogen reichte sie ihr Kleid hinauf und nahm die sinnlosen Attacken gegen das Haus erneut auf.
Tirîgon war es recht. Damit lenkte sie die Aufmerksamkeit der Elben auf sich.
Schnell schnitt er die stinkende, schimmlige Haut in winzig kleine Fetzen, die er in den Schacht streute, und deckte den Schlot mit dem Schild ab. Ihr werdet es nicht lange aushalten.
Mit einem Pfeil auf der Sehne wartete er ab.
Bald roch er die schmorende Haut. Beißender Qualm drang aus den Fensterritzen und stieg in den Höhlenhimmel. Leises Husten sowie das Wimmern von Frauen und Kindern erklang.
Die Obboona lachte und schwenkte die beiden erbeuteten Elbenschwerter. »Hey, ihr Räucherfleisch da drin! Kommt heraus! Ich …«
Es sirrte, gefolgt von einem leisen Knacken. In der Brust der Verrückten steckte ein zitternder Pfeilschaft, nach dem sie mit dem rechten Schwert noch schlug, bevor sie rücklings fiel und zuckend liegen blieb.
Schade, sie hätte noch nützlich sein können.
Rumpelnd flog die Tür unter ihm auf, dann strömten nach Luft ringende Elben in Tirîgons Sichtfeld. Die beiden Bewaffneten sicherten die Gruppe aus Kindern und Frauen, die sich aufmachten und in Richtung des Schiffes hetzten. Sie dachten nicht daran, ihre Insel zu verteidigen, sondern suchten ihr Heil in der Flucht.
Damit überraschten sie mich. Er streckte die zwei gerüsteten Elben mit raschen Schüssen nieder, ehe sie ihn auf dem Dach erkennen konnten.
Tirîgon hatte noch elf Pfeile, doch die Zahl der Flüchtenden belief sich auf bestimmt siebzig. Die ersten hatten bereits die Schiffe erreicht, die Runen an den Masten leuchteten auf.
Sie lassen mich einfach zurück! Wie komme ich ohne das Gefährt von hier weg? »Wartet!«, schrie er. »Ich schwöre, ich bringe euch allen den Tod, wenn ihr …« Tirîgon wollte vom Dach springen und ihnen nacheilen, als ein heftiges Beben durch das Gebäude lief.
Er hielt sich auf den Beinen, aber der Schlot sackte in sich zusammen und sandte eine beißende Qualmwolke in die Höhe, die ihm vorübergehend die Sicht nahm und seine Augen mit Tränen füllte. Deutlich vernahm er das laute Schleifen von Geröll, das einen Hang hinabrutschte. Wer in Dsôn lebte, kannte das Geräusch viel zu gut.
Die steinerne Decke des Dachs neigte sich unter seinen Füßen und gab nach, bevor sich der Alb zu retten vermochte.
Tirîgon schlug im Versammlungshaus auf, aus dem sich der Rauch bereits verzogen hatte. Geistesgegenwärtig wich er den herabfallenden Steinen aus und sah dabei dorthin, wo sich die Feuerstelle und der Kamin befunden hatten. Es klaffte bereits eine breite Öffnung in der Erde, durch die er nach unten blickte – unmittelbar ins Nichts!
Die Insel löst sich auf! Tirîgon verstand die Flucht der Elben. Haben sie es selbst verursacht?
Das Loch verbreiterte sich ziemlich rasch. An den Rändern brach das Erdreich weg, die Platten, Steine und jegliches sonstige Material stürzten in die Tiefe. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Insel endgültig zerfiel.
Ich muss mir auf der Stelle einen Kahn sichern. Er lief los und bemerkte an einer Wand eine Landkarte mit elbischen Schriftzeichen, die er hastig abriss und einsteckte; dass dabei ein Teil des Schriftstücks zurückblieb, war ihm einerlei.
Tirîgon stürmte aus dem zerstörten Gebäude. Die Obboona wand sich vor Schmerz und sah ihm flehend nach, während er an ihr vorüberhastete. Alle großen Schiffe und Kähne entfernten sich vom Steg. Majestätisch segelten sie davon, getragen von scheinbar unsichtbarem Wasser.
»Lass mich nicht hier liegen, junger Gott«, hörte er die Obboona schwach rufen. »Bring mich zu meinem Gott. Und vergiss die Elbenleichen nicht. Er wird dich … entlohnen.«
Kann sie mir doch noch helfen? Rasch kniete er sich neben sie und hielt ihr die Karte hin. »Wo finde ich ihn?«
»Du … lässt mich hier zurück, wenn … ich es dir zeige!«
»Ich muss es wissen! Stell dir vor, du verlierst unterwegs das Bewusstsein. Wie soll ich uns zu ihm bringen?« Mach schon!
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