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Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)

Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)

Titel: Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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nicht. Bei ihr würde es ihr weniger gelingen.
    Nach einem kurzen Marsch und dem Erklimmen vieler Stufen gelangte sie in den fünften Ring, wo die Häuser bereits einen vornehmeren Eindruck machten und nicht zusammengepfercht aneinanderstanden.
    Es gab in diesem Viertel den Luxus eines kleinen Gartens von einem Schritt Breite und Länge, in dem vornehmlich Rankpflanzen gezüchtet wurden, die sich schwarzweißrotblättrig um die Fenster und Türen schmeichelten.
    Acòrhia lebte in einem Haus, das sich einen Wettstreit mit seinen Nachbarn lieferte, wer die prächtigsten Ranken sein Eigen nannte. Die Farben waren abwechslungsreich: tiefes Blutrot, intensives Goldgelb und dazwischen gedecktes Grau.
    Zwischen den Pflanzen hatte die Albin Knochenschnitzereien sowie Statuen eingepasst, die den Bewuchs ergänzten und Raum für eigene Auslegungen ließen. So wurden die Blätter zur Mähne eines kleinen Nachtmahrs, die Ranken zu Schlangen um den Leib eines Óarcos, die ihn würgten und töteten.
    Ranôria gefielen die Verzierungen vor den Behausungen. Ich bin viel zu selten in den unteren Ringen. Sie betätigte den Türklopfer, der in der Form zweier Hände gefertigt war, die einen silbernen Schädel umfasst hielten. Dessen Kinn schlug gegen das ziselierte Metallplättchen und erzeugte einen melodischen, schwingenden Ton.
    Es dauerte nicht lange, und der Eingang wurde geöffnet.
    Für zwei Herzschläge glaubte Ranôria, sie sähe in das Gesicht ihrer Tochter – wenn die roten Haare nicht gewesen wären. Ansonsten glichen sich die Geschichtenweberin und Firûsha deutlich. Ist Aïsolon auch ihr Vater? , huschte es ihr ohne Eifersucht durch den Kopf. Es war bei den Albae üblich, dass Gefährtinnen und Gefährten im Laufe der Unendlichkeit wechselten.
    »Sei gegrüßt«, sagte Ranôria freundlich und hob den Kopf, damit ihre Züge sichtbar wurden. »Ich bin …«
    »Ich weiß, wer du bist«, unterbrach sie Acòrhia und verbeugte sich, schob die Tür weit auf. Ein enges rotes Kleid umgab ihren Körper, darüber lag ein kürzeres schwarzes mit weißen Perlchen. »Es ist mir eine Ehre, dich bei mir begrüßen zu dürfen.« Sie gab den Korridor frei, aus dem der Geruch von Papier und parfümierter Tinte drang. »Tritt ein und sei mein Gast.«
    Ranôria setzte den Fuß über die Schwelle und nickte ihr wohlwollend zu. Deine Zuvorkommenheit wird mich nicht blenden. »Sehr freundlich.«
    Acòrhia überholte sie, nachdem sie die Tür geschlossen hatte, und brachte sie in eine Bibliothek, in deren Mitte sich ein gewaltiger, abgestorbener Baum erhob. Eine Treppe wand sich herum nach oben, über Planken auf den dickeren Ästen gelangte man zur Balustrade der höheren Regale, wo die dicken Folianten standen. In den Stamm waren Aussparungen geschnitten, in denen Bücher ruhten. Eine Schaukel hing rechts herab, ein großer Schreibtisch befand sich links davon. Federkiele, Glasstifte, unzählige Tintenfässer reihten sich darauf.
    Was Ranôria zum Staunen brachte: Das Laub und die Blüten an den Ästchen bestanden aus beschriebenen Papierseiten!
    Sie waren mit Draht oder kaum sichtbaren Haaren daran befestigt, in Form gedreht, als Knospe, als erwachende oder voll aufgegangene Blüte. Die parfümierte Tinte füllte den Raum mit dem Geruch von warmen Mandeln und Honig. Durch einen Luftzug gerieten die Zweige in Bewegung, das falsche Blätterdach raschelte und knisterte. Eine Seite löste sich und schwebte vor den beiden Albinnen nieder.
    »Fantastisch!«, brach es aus Ranôria heraus, und sie blieb stehen, um den Anblick auf sich wirken zu lassen.
    »Danke. Es sind alte Aufzeichnungen, die ich nicht mehr benötige. Am Baum kommen sie zu letzten Ehren«, erklärte Acòrhia und sah auf das Papier zu ihren Füßen. »Ich befestige sie nur lose. Der Zufall entscheidet, welches ins Feuer wandert und welches bleiben darf.« Sie schob einen Stuhl nahe am Kamin für die Besucherin zurecht. »Bitte sehr.«
    Ranôria ging langsam zum Feuer und legte den Umhang auf einem Ständer ab, nahm Platz. Die Verblüffung stand ihr auf dem Gesicht. »Welch schönen Einfall du hattest«, sagte sie begeistert. »Das muss ich dir lassen.« Sie blickte sich um. Die Bibliothek und Schriftsammlung erstreckte sich über sämtliche vier Stockwerke des Hauses.
    »Das ist mein Steinbruch, wenn man so möchte.« Acòrhia setzte sich lächelnd ihr gegenüber. »Hier findest du viele Schätze aus dem alten Dsôn, die mir von Überlebenden anvertraut wurden, und meine eigenen

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