Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)
Seiten und erhob sich. Der hellgelbe Schein des Feuers fiel auf ein vor Schmutz starrendes, zerknittertes Frauengesicht.
Trägt sie eine Maske? Tirîgon versuchte, mehr von ihr zu erkennen und bekam Gewissheit: Was er für Handschuhe gehalten hatte, stellte sich als Haut heraus. Noch eine Obboona! Ich sollte sie auf der Stelle töten.
Die Obboona blies über das Figürchen und befreite es von letzten Spänchen, steckte ihren Dolch weg und zog eine fingerlange, nadeldünne Klinge aus den Falten des Gewands. Sie führte die Arbeit fort, die Tirîgon begonnen hatte.
Sie wird es ruinieren! Er rollte sich vom Sims und landete hinter ihr, reckte das Schwert gegen sie. »Lass es«, befahl er drohend in einem gängigen Barbarendialekt. »Ich möchte nicht, dass du deine stinkende Hand an meine Schöpfung legst.«
Sie verharrte. Dann richtete sie sich langsam auf und schien zu wachsen. »Höre ich da recht und vernehme die gebieterische Stimme eines Albs?«, erwiderte sie perfekt in seiner Sprache. Sie hob die Hand mit dem Figürchen. »Ich nehme an, es ist deines?«
Tirîgon umrundete sie, die Waffenspitze unentwegt auf sie gerichtet. »Ja.«
»Gut gelungen. Unter diesen Umständen. Du bräuchtest bessere Werkzeuge, und ich sehe, dass du das Zeug zu einem Schnitzmeister besitzt.« Die Obboona wandte sich nun langsam um und verfolgte ihn mit ihren Blicken unter der faltigen, alten Haut heraus, die nicht ihre war. »Oh! Du bist jung. Sehr jung.«
»Jung, aber nicht unerfahren. Ich weiß, wie man tötet.« Die rötlich braunen Augen spiegelten Kälte und Verschlagenheit wider, wie Tirîgon sie nicht kannte, nicht einmal von seinen persönlichen Widersachern. Sie ist schlau, das sieht man ihr an. »Leg das Figürchen hin!«
»Und dann wirst du mich töten«, mutmaßte sie und hielt das Schnitzwerk weiterhin zwischen den Fingern. »Folglich wäre es töricht, wenn ich es täte.« Ihr Ton wurde spöttisch. »Hat der kleine Alb Angst um sein kleines Figürchen? Brauchst du es zum Einschlafen im gemeinen, bösen Phondrasôn?«
Sie ist im Leben keine Obboona. »Nein, ich brauche es, um es dir durchs Herz zu bohren«, gab er zurück und setzte das geschliffene Klingenende gegen ihren Halsansatz. Knisternd zerteilte sich die schmutzige Haut unter der Schneide und gab den Blick auf eine wesentlich reinere, hellere frei.
»Oh, das war gut gesprochen!« Sie räusperte sich und wackelte spielerisch mit dem hauchdünnen Federmesser in der anderen Hand. »Denkst du, es gelingt dir, oder werde ich dir vorher die Halsschlagader öffnen?« Ihre Augen färbten sich unerwartet schwarz.
Das Lagerfeuer erstarb mit einem leisen Fauchen und einem gewaltigen Funkenregen, der gegen Tirîgon stob.
Sie ist eine Albin! Um den glühenden Aschestückchen auszuweichen, sprang er zurück und schlug waagrecht zu, führte das Schwert dabei in einem langen Halbkreis, um sie bei ihrer Attacke zu verletzen. Sie muss den Verstand verloren haben, wenn sie sich für eine Obboona hält!
Eine Hand langte in seine schwarzen Haare und schleuderte ihn herum, gegen die Felswand, sodass er beim Zusammenprall gleißende Sternchen sah. Doch seine Waffe ließ er nicht fallen und stach hinter sich.
Ein leises, kühles Lachen erklang an seinem linken Ohr. »Das wird so nichts, junger Alb.« Ihre feine Klinge ritzte an seinem Hals hinab. »Ein kleines Andenken.«
Aufkeuchend warf er sich zurück, um sie mit seinem Gewicht umzureißen, aber er sprang ins Leere; gleichzeitig zog ihm die unbekannte Albin die Füße weg, und er landete mit dem Rücken im erloschenen Feuer. Die Glut sandte Hitze durch seine Rüstung.
Ist sie eine Kriegerin? Tirîgon wälzte sich aus der Feuerstelle und richtete sich auf, schlug wieder mit dem Schwert in die Finsternis, ohne ein Ziel zu treffen.
Dieses Mal schien ihr Lachen schadenfroh. Die Flammen zuckten schlagartig auf. Das Licht kehrte in die Nische zurück und beleuchtete die Albae, die sich gegenüberstanden.
Tirîgon fasste sich an den Hals, wo sein Lebenssaft hinabsickerte. Ein kleiner Kratzer, wohldosiert. Er starrte sie an. »Wer bist du?«
»Namen spielen in Phondrasôn keine Rolle«, erwiderte sie. »Sondern die Taten, die du unternimmst oder lässt.« Sie hielt das Figürchen nach wie vor in der Hand, das Messer hatte sie weggesteckt. »Ich habe darauf verzichtet, dir das Leben zu nehmen, junger Alb. Dass es mir leichtgefallen wäre, hast du sicherlich bemerkt.«
»Man hat dich verbannt, weil du verrückt wurdest«,
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