Die Legenden der Albae - Vernichtender Hass
Carmondai verbeugte sich. Was würdest du
wohl tun, wenn ich das Geheimnis trotzdem verriete? »Wie du befiehlst,
Nostà roi.« Er schlug die Kladde mit einem lauten Knall zu und verstaute den
Stift. Auch du wirst erkennen, dass dir die Macht lediglich
übertragen wurde und dir jederzeit genommen werden kann. Du bist nur ein
Instrument der Herrscher, so wie ich es war. »Da noch Zeit ist, werde
ich meine Kleidung wechseln.« Er wandte sich um und wollte die Halle verlassen.
»Wenn
du an einem der nächsten Abende Zeit hast, werde ich dir von Enoïla erzählen«,
erklang die milder gewordene Stimme Caphalors in seinem Rücken. »Sie hat es vor
allen anderen verdient, dass man der Nachwelt von ihr berichtet. Ohne sie wäre
ich nicht Nostà roi geworden. Es ist ihr Verdienst, und das ganze Reich soll es
wissen.«
»Sehr
gern.« Carmondai verlieà zügig den Saal und suchte seine Unterkunft auf, um die
stinkende Kleidung abzulegen.
Eines
war gewiss: Dieser Feldzug hatte alles, was ein Epos benötigte, um zu einem
groÃen Erfolg zu werden.
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Die Goldstählerne Schar â ich hielt sie für
Legende.
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Doch sah ich sie mit eigenen Augen, und sie
war stolz und schön und groÃartig. Nie werde ich diese Krieger vergessen, in
ihren Rüstungen, mit ihrer niemals vergehenden Liebe in den Augen.
Einhundertfünfzig Paare, Mann mit Mann,
Frau mit Frau. Wundervoll und tödlich.
Gesegnet von den Unauslöschlichen, in
gröÃter Zuneigung und mit dem edelsten Gefühl einander verbunden, der
Endlichkeit trotzend in dem Bestreben, die Unendlichkeit miteinander zu
verleben.
Und ihre Kampfeskraft ist unbeschreiblich!
Wo reine Kraft und purer Verstand ein
Schwert führen, ist die Liebe tausendfach überlegen.
Denn die Liebe tötet, um die Liebe zu
schützen.
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Einen stärkeren Antrieb kann es nicht
geben.
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Aus dem
Epos »Die Helden von Tark Draan«,
aufgezeichnet
von Carmondai, dem Meister in Bildnis und Wort
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Tark Draan (Geborgenes
Land), südöstlich des Grauen Gebirges, 4371. Teil der Unendlichkeit (5199.
Sonnenzyklus), Spätsommer
Morana
hob den Kopf und blickte nach Nordosten, wo sich eine lange Ebene erstreckte,
die im Licht der untergehenden Sonne sattgelb schimmerte, als würde Gold darauf
wachsen. Ich habe sie gefunden!
Sie
fühlte sich unwohl, weil sie zum einen nicht ihre übliche Rüstung trug und zum
anderen auf ihren Nachtmahr verzichten musste. Und sie hasste die Verkleidung,
die sie notwendigerweise trug. Sie trat als Elbin auf, und zumindest nachts war
sie in dieser Rolle vollkommen überzeugend, weil sich dann ihre Augen nicht
schwarz färbten, was der einzige äuÃerliche Unterschied zwischen ihren Rassen
war. Bald würde das Taggestirn untergehen, und sie konnte gefahrlos in die
nächste Stadt der Barbaren einreiten, um sie auszukundschaften.
Die
Sprache bereitete kaum eine Schwierigkeit, der Dialekt ähnelte denen vom Stamm
der Herumiten aus IshÃm Voróo. Ihre eigene schlechte Aussprache konnte sie
damit erklären, dass sie eine Elbin war und normalerweise nicht mit Barbaren
redete.
Unterwegs
hatte sie immer wieder nach den Elbenreichen oder Wegweisern Ausschau gehalten,
und Reisende hatten ihr erzählt, wie sehr man das Volk des Lichts schätzte.
Ihre Maskerade als Elbin hatte Morana etliche Geschenke eingebracht, die schon
nach der nächsten Wegesbiegung im Dreck gelandet waren.
Sie
hatte verstanden, welchen hohen Stand und welches Ansehen die Elben in Tark
Draan genossen. Niemand misstraut ihnen â damit wird es am
Anfang einfach für uns sein.
Morana
wandte den Blick nach rechts, zu einer groÃen Barbarenstadt, die am Rand der
Ebene lag. Mein Nachtlager und Jagdgebiet.
Sie
lieà das Pferd in vollem Galopp auf die Stadt zupreschen und hatte dennoch den
Eindruck, dass es dreimal langsamer als ein schlechter Nachtmahr war.
Die
Sonne versank derweil, und am kurzen Ziehen in den Augen merkte sie, dass das
Schwarz verschwunden war. Sie sah nun täuschend echt wie eine Elbin aus.
Am
Tor standen keine Wächter, nur über dem breiten Einlass warteten zwei
gelangweilte Barbarensoldaten. Sie unterhielten sich, und der eine aà mit
Hingabe einen Apfel. Sie verschwendeten keinen Blick nach unten.
So
ritt Morana einfach hinter die Mauern der für sie noch namenlosen Stadt. Ich wette, ihr würdet sogar eine Armee passieren
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