Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
Steuermannsmaat. »Drei … zwei … eins … Los geht’s!«
Der Junge überbrückte die Entfernung wie ein Vogel im Flug und stürzte sich auf mich. Ich wich ihm aus, duckte mich unter ihm hindurch nach rechts, wo er keine Hand hatte, mit der er mich packen konnte.
Ich knallte hart auf das mit Sand bestreute Deck, rollte mich weg und hatte mich fast wieder aufgerappelt, da stürzte er sich erneut auf mich.
Ich versuchte, ihm abermals auszuweichen, doch er packte mich an den Haaren und wir gingen beide zu Boden. Es gab ein Knäuel aus Gliedmaßen, ich schlug wild um mich, holte völlig planlos nach ihm aus und trat zu. Ich bekam ein paar Schläge ab, wollte mich wegdrehen, einen Augenblick lang wusste ich nicht, wo oben und unten war, doch plötzlich spürte ich einen brennenden Schmerz in meiner Schulter, irgendwie riss ich mich los, und während ich mich mit den Füßen rückwärtsstieß, sah ich, dass sein Mund voller Blut war. Vermutlich war es meines.
Ich lag auf dem Rücken, stieß mich noch immer mit den Füßen rückwärts, da sprang er mich erneut an. Doch da er zu weit weg war, hatte ich genug Zeit, ihm brutal mitten ins Gesicht zu treten. Er kippte zur Seite, was mir Zeit gab, mich aufzurappeln.
Ich wich in geduckter Haltung zurück und beobachtete, wie auch er auf die Füße kam. Seine Nase war schief und blutete.
Wir umkreisten einander, hielten Abstand und holten Luft. Meine Schulter brannte an der Stelle, wo er mich gebissen hatte. Er wischte sich mit seinem rechten Arm das Blut vom Gesicht, doch seine Nase hörte nicht auf zu bluten.
»Hey, Gussie!«, schrie Ripper. »Kriegst was extra, wenn du ihm dieses Zeichen aus dem Hals beißt!«
Guts knurrte und sprang mich wieder an. Ich versuchte, ihn von unten anzugreifen, und wir krachten so heftig mit den Köpfen gegeneinander, dass ich Sterne sah. Als sich sein Mund meinem Hals näherte, packte ich ihn mit der Hand unter dem Kinn, um ihm den Kiefer aus dem Schädel zu reißen. Er würgte und wollte mich in die Rippen boxen, doch es war der Arm ohne Hand und mit dem Stumpf konnte er nicht viel ausrichten. Ich bekam die Finger seiner anderen Hand zu fassen und verdrehte sie so, dass er sich von mir herunterrollen musste, wenn ich sie ihm nicht brechen sollte.
Anschließend packte ich ihn am Handgelenk, drehte ihm den Arm nach hinten und setzte mich auf seinen Rücken. Er schlug in blinder Wut um sich, doch da er flach auf dem Bauch lag, konnte er seine Beine nicht als Hebel einsetzen.
Ein überraschtes Grölen ging durch die Menge. Guts wehrte sich noch ein bisschen, doch ich hatte ihn fest im Schwitzkasten.
»Mach ihn platt!«
»Gib ihm den Rest, Junge!«
Jetzt konnte ich ihn fertigmachen. Ich überlegte, ihm die Zähne in den Hals zu schlagen oder seinen Kopf aufs Deck zu knallen oder ihn zu erwürgen.
Doch ich brachte nichts davon über mich. Keine Ahnung, warum. Vielleicht hatte es etwas mit der Erinnerung an diesen Schrei zu tun, den ich aus Pilchers Kabine gehört hatte. Der Schrei des armen Teufels, dem ich nicht geholfen hatte.
Ich beugte mich zu Guts’ Ohr herunter. »Ich will dich nicht umbringen«, flüsterte ich.
Als er wieder zu zappeln anfing, sah er aus wie ein Fisch in einem Eimer.
»Wenn wir aufhören, können sie uns nicht zum Weiterkämpfen zwingen. Wir müssen es nicht bis zum Ende durchziehen. Verstehst du?«
Er gab keine Antwort, doch ich spürte, wie sein Körper erschlaffte. Ich lockerte meinen Griff nicht, nur für den Fall der Fälle.
»Ich höre auf, wenn du aufhörst. Wir beide gemeinsam. Wirst du aufhören?«
Er antwortete nicht. Die Piraten wurden allmählich sauer.
»Mach ihn alle!«
Plötzlich gab es einen dumpfen Aufprall, den ich in den Planken fühlte, gefolgt von einem leisen, knirschenden Rumpeln. Ich drehte den Kopf. Eine Fünf-Pfund-Kanonenkugel rollte in gerader Linie von Rippers Sessel auf mich zu.
Als ich aufsah, blickte ich in Rippers Augen. Sein Mund war zu einem Grinsen verzogen, die scharf gefeilten Zähne blitzten.
»Na los!«
»Mach ihn kalt!«
»Schlag ihm die Birne ein!«
Die Kanonenkugel blieb neben Guts’ handlosem Arm liegen. Sein Stumpf stieß hilflos dagegen.
»Ich will dich nicht umbringen!«, flüsterte ich wieder. »Versprich aufzuhören, dann bring ich dich nicht um.«
Seine Wange lag auf das Deck gepresst, und als er versuchte, mich anzusehen, tanzte sein Auge hin und her. Unter seiner Nase hinterließ das herabtropfende Blut eine kleine Pfütze auf dem Deck.
Ich
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