Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
bedeutete uns, an Bord zu gehen.
»Ruder liegen unter der Bank hier. Haltet euch steuerbord, wenn ihr aus der Höhle rausfahrt – Richtung Hafen gibt es ein paar fiese Felsen unter Wasser, aber ansonsten ist es eine tiefe Fahrrinne. In der Kabine sind ein Klüver und ein Großsegel, doch der Klüver macht vielleicht mehr Ärger, als dass er weiterhilft. Wartet mit dem Großsegel, bis ihr aus der Höhle raus seid. Okay?«
Sie hatte den Fuß auf die Reling gesetzt und war bereit, von Bord zu gehen.
»Ich bin nicht sicher, ob ich das verstanden habe«, sagte ich.
»Was jetzt?«
»Das mit dem Klüver und dem … Großsegel …«
»Kannst du etwa nicht segeln?«
»Eigentlich nicht, nein.«
»Oh Mann, Egg! Du bist auf einer Insel aufgewachsen!«
»Ich bin auf einem Berg groß geworden! Der sich zufälligerweise auf einer Insel befindet. Und wir haben ihn nur selten verlassen.«
Sie wandte sich an Guts. »Wie sieht’s mit dir aus?«
Er zuckte die Achseln. »Ich kann ’n Klüver von ’nem Großsegel unterscheiden. Aber das heißt noch lang nich, dass ich segeln kann.«
Ich starrte ihn ungläubig an. »Hast du nicht auf einem Schiff gelebt?«
»Klar, und hab Decks geschrubbt. Kanonen geladen. War kein Lotse.«
Millicent schüttelte verwundert den Kopf. »Ich fass es nicht. Keiner von euch beiden kann segeln?«
»Wir haben Ruder. Können wir nicht einfach rudern?«
»Nicht, wenn ihr irgendwann irgendwo ankommen wollt! Wie weit wollt ihr denn?«
»Dreckswetter.«
Sie seufzte. »Dann muss ich euch wohl selbst übersetzen. Lächerlich! Und in diesem Aufzug!«
»Es steht dir.«
»Bring mich nicht zum Erröten, Egg. Jetzt holt die Ruder raus.«
»Moment mal.« Guts starrte Millicent misstrauisch an. Während er sprach, fuchtelte er mit seinem Messer herum. »Nur weil du mitkommst, brauchste dir nich einbilden, dass du was vom Schatz abkriegst.«
»Mach dich nicht lächerlich. Ich brauche keinen Schatz. Außerdem bist du vollkommen bescheuert, wenn du dir einbildest, ihn auf Dreckswetter zu finden.«
»Schluss jetzt«, sagte ich und drückte Guts eines der Ruder in die Hand. Der Gedanke, dass Millicent uns begleiten würde, machte mich ein bisschen schwindlig.
Widerwillig legte er das Messer hin, um das Ruder zu ergreifen. Dann beugte er sich zu mir und flüsterte: »Trau ihr nich. Sie is ’ne Hexe.«
»Ist sie nicht«, antwortete ich. »Glaub mir.«
»Was bin ich nicht?«, fragte Millicent.
»Nichts«, sagte ich.
»’ne Hexe«, sagte Guts.
»Oh, und was für eine! Ach übrigens, ich hab vor, euch beide auf dem Meer umzubringen«, erwiderte Millicent. »Und jetzt gib mir das Ruder«, sagte sie und streckte Guts die Hand entgegen.
»Warum?«
»Weil’s sich mit zwei Händen besser rudert.«
Sein Gesicht zuckte vor Wut und er nahm das Ruder zurück, als wolle er ihr eins damit überziehen. Ich griff schnell danach.
»Nicht. Bitte. Sie nimmt dich bloß hoch.«
Er gab ein komisches wütendes Gurgeln von sich. Aber er überließ mir das Ruder. Als ich mich umdrehte, um es Millicent zu geben, knurrte er sie an: »Sieh dich vor!«
»Das würde ich dir auch vorschlagen, aber ich hab keine Ahnung, wie du was sehen willst – bei den ganzen Haaren, die dir in die Augen hängen. Wenn du das nächste Mal mit dem Messer rumspielst, warum schneidest du dir nicht damit den Pony kürzer?«
Er gab noch ein würgendes Gurgeln von sich und langte nach seinem Messer. Ich auch. Er war Erster. Immerhin schaffte ich es, mich zwischen ihn und Millicent zu stellen.
»Sie macht nur Witze. Ehrlich. Auch wenn sie sich wie eine Idiotin benimmt.«
»Wie bitte?«
»Tust du. Ehrlich.« Ich ließ Guts nur aus den Augen, um ihr einen bösen Blick zuzuwerfen.
Guts knurrte erneut. »Das muss ich mir nich anhör’n.«
»Du kannst gern aussteigen. Und auf ein anderes Mädchen mit Boot warten.«
»MILLICENT!«
»Nein? Na gut. Warum machst du dich dann nicht nützlich und holst das Großsegel? Es ist in dem Sack in der Kabine.«
»Bin hier nich dein – Dienerdepp!« Guts ging einen Schritt auf sie zu und ich musste die Hände vorstrecken, damit er erst mich schlagen müsste, bevor er sie erstechen konnte.
»Natürlich bist du das nicht, und sie führt sich wie eine dumme Ziege auf –«
»Die allerdings als Einzige von uns segeln kann. Und zufälligerweise das Boot besitzt.«
»Das kommt hinzu. Also bitte, bitte, erstich sie nicht.«
»Und hol das Großsegel. Es ist für das ganze Unterfangen ziemlich
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