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Die Legenden der Vaeter

Die Legenden der Vaeter

Titel: Die Legenden der Vaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kolja Mensing
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er eine Chance haben. Als er drei Tage später zurück nach Fürstenau kommt, ist er Gesellschafter der Globus Lichtspiele GmbH. Sogar das Briefpapier ist bereits gedruckt, auf gelbem Papier, mit der Anschrift der Firma im Kopf, Scharnhorststraße 24, Bückeburg, und den Namen der beiden Inhaber, »J. Kozlik« und »H. Schulenberg«.
    Józef macht sich sofort an die Arbeit. Er reist wochenlang durch die britische Besatzungszone, verteilt Schmiergelder und organisiert einen Teil der technischen Ausrüstung, darunter einen Tonfilmprojektor, der aus einem Kino in Leipzig stammt und über die Zonengrenze geschmuggelt worden war, bevor die Russen ihn beschlagnahmen konnten. Er treibt sogar eine Rolle mit Platzkarten auf und ein beleuchtetes Schild für den Notausgang.
    Als es Frühling wird, nimmt er Marianne zum ersten Mal mit nach Bückeburg. Józef hat ein Zimmer gemietet, in derselben Straße, in der auch Heinrich Schulenberg wohnt, und bevor er Marianne das Schloss und die Altstadt zeigt, |134| führt er sie zu dem Gebäude, in dem sie im Herbst ihr Kino eröffnen werden. Es ist der Saal der Gaststätte Brandhoff, die am Stadtwall liegt, nicht weit von Heinrich Schulenbergs Wohnung. Ein Teil der technischen Ausrüstung fehlt noch, Objektive und Bogenlampen, eine Lautsprecheranlage, die Leinwand. Nichts davon ist auf dem freien Markt zu bekommen, aber Józef ist zuversichtlich, dass er in Hamburg und Hannover unter der Hand alles besorgen kann. Wieder zu Hause, legt Marianne bei Arnold ein gutes Wort für ihn ein. Sie bittet ihren Vater, die Bestuhlung für das Kino anzufertigen. Anna ist dagegen, aber Arnold lässt sich überreden. Er will Józef noch eine Chance geben und schickt im Mai einen der Gesellen nach Bückeburg, um den Saal der Gaststätte Brandhoff zu vermessen. Kurz darauf fertigt er erste Entwürfe an.
    Im Juni 1948 wird in den drei westlichen Besatzungszonen eine neue Währung eingeführt. Die D-Mark löst die Reichsmark ab. Gleichzeitig fallen die Beschränkungen, die die Militärregierungen dem Einzelhandel auferlegt hatten. Die Auslagen der Geschäfte füllen sich mit Waren, die bis dahin zurückgehalten worden waren, weil sie gar nicht oder nur gegen Marken und Bezugsscheine abgegeben werden durften. Die technischen Geräte, die man benötigt, um ein Kino zu betreiben, sind jetzt im freien Handel zu haben. Die Globus Lichtspiele GmbH hat über Nacht ihren Wettbewerbsvorteil eingebüßt. Zumindest ist das die Version der Geschichte, die Józef Marianne erzählt und die sich später in einem seiner Briefe an meinen Vater finden wird, zusammen mit einem Bogen des vorgedruckten Briefpapiers, das er mit in den Umschlag gelegt hat.
    Józef und Heinrich Schulenberg hatten fest damit gerechnet, |135| den Zuschlag für das Kino zu bekommen. Doch als sie vom Verband der Filmtheaterbesitzer wochenlang keine Antwort mehr auf ihre Briefe bekommen, ahnen sie, dass es vorbei ist. Józef hört sich um und erfährt, dass die britische Militärverwaltung sich aus der Kontrolle der Lizenzvergabe zurückziehen will. Seine Kontakte sind nichts mehr wert, auch das Geld ist ihm ausgegangen. Józef hat ein kleines Vermögen in das Unternehmen gesteckt, um britische Offiziere zu schmieren und die Ausrüstung für das Kino auf dem Schwarzmarkt zusammenzukaufen. Jetzt bleiben ihm nur noch ein paar Reichsmark, die er im Kurs zehn zu eins in D-Mark umtauschen muss. »Nach der Währungsreform war ich pleite«, schrieb er später an meinen Vater.
    Der Traum von einer eigenen Existenz ist zerplatzt, und als er im August das nächste Mal nach Fürstenau fährt, teilen Mariannes Eltern Józef mit, dass er in ihrem Haus nicht mehr erwünscht sei. Arnold ist wütend, weil er mit den Stühlen, die er für das Kino in seiner Werkstatt anfertigen wollte, fast selbst mit in den Konkurs hineingezogen worden wäre, und bei Anna ist die Abneigung mittlerweile in offene Feindschaft umgeschlagen. »Deine Großmutter hat mir erklärt, dass sie einer Heirat niemals zustimmen werde. Es sei eine Schande für die ganze Familie, wenn ihre Tochter einen Ausländer zum Mann nehmen würde, noch dazu einen Polen«, schrieb Józef an meinen Vater. An jenem Tag im Sommer 1948 sah er seinen Sohn zum letzten Mal. »Du warst damals zu klein«, erklärte er ihm in einem der Briefe: »Du wirst dich nicht daran erinnern können.«
    Es ist wie das Schlusskapitel eines Romans. Gern hätte ich mich daran gehalten und die Geschichte meines Großvaters so zu Ende

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