Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege
an den Eindringlingen bis in alle Ewigkeit Rache geübt werde für die Entweihung.
Als die Gebete gesprochen waren, verschwanden sie
spurlos und geräuschlos im Wald. Hinter ihnen begann der Wald wieder zu singen. Die Fremden würde die gerechte Strafe ereilen.
Yron und Ben-Foran erreichten den Fluss erst am Spätnachmittag. Sie waren müde und hungrig, denn sie hatten nicht genug Zeit gehabt, nach Essbarem zu suchen. Ben-Foran hatte den Taipan, den Yron mit einem Dolchstoß durch den Kopf aufgespießt hatte, nicht essen wollen, und der ruppige Hauptmann hatte eigentlich auch keinen Hunger gehabt. Sie waren schnell gelaufen, doch der Weg zum Zufluss des Shorth war mühsam und sumpfig, und sie mussten steil hinauf und wieder bergab klettern.
Sie hörten das schnell fließende Wasser, eine Stunde bevor sie es erreichten. Dann standen sie eine Weile am Ufer und betrachteten die Schönheit, die sich vor ihnen entfaltete. Sie waren durch eine Rinne nach unten gerutscht und standen jetzt in knöcheltiefem Wasser. Auf der anderen Seite, etwa fünfzig Schritte entfernt, erhob sich eine Steilklippe gut und gern fünfhundert Fuß senkrecht in die Luft.
Die Spalten und Risse der Felswand boten einer Unmenge von Kletterpflanzen einen Halt. Tausende Vögel segelten und kurvten in den Aufwinden, die vor der Klippe entstanden. An einem Dutzend Stellen stürzte Wasser über die Kante, das sich weiter unten zu feinem Nebel verteilte. Einige Wasserfälle erreichten schimmernd und tosend den Fluss und ließen hohe Gischtwolken aufsteigen. Die Erosion und die Wucht des Wassers hatten tiefe Becken in den Fels geschlagen.
Vor ihnen rauschte der Fluss rasch durch eine Engstelle. Weiter stromaufwärts schoss das Wasser noch schneller dahin, dort donnerte es über Stromschnellen
herab und prallte gegen den Fels, ehe es sich beruhigte und schnell, aber stetig weiterströmte. Yron konnte im Dunst nicht sehr weit nach Norden blicken, doch er hoffte, dass sich das mit Sedimenten befrachtete Wasser hinter der nächsten Biegung beruhigte. Entweder dies, oder sie mussten sich auf eine holprige Reise gefasst machen.
»Erst die guten oder erst die schlechten Neuigkeiten?« , fragte er Ben-Foran.
»Die schlechten«, sagte Ben.
»Es wird wehtun.«
»Und die guten?«
»Ihr müsst nicht paddeln, und solange das Wasser nicht ruhiger wird, gibt es keine Krokodile.«
»Piranhas?«
»Ich sage rechtzeitig Bescheid.« Yron schnitt eine Grimasse. »Jetzt müssen wir etwas finden, an dem wir uns festhalten können. Das dürfte allerdings nicht zu schwer sein.«
Er watete durchs relativ ruhige Wasser am Ufer stromaufwärts und suchte ein Wasserloch. Nach etwa dreißig Schritten hatte er ein Becken mit stillem Wasser gefunden, in dem sich Schlamm und wie erwartet reichlich Treibholz gesammelt hatten. Er holte mit der Axt aus, schlug den größten Stamm frei und flößte ihn zu Ben-Foran zurück, indem er ihn zwischen den Beinen einklemmte und mit einer Hand steuerte.
Trotz seiner Zuversicht, dass es in einem derart schnell fließenden Gewässer keine Krokodile gab, beobachtete er vor und hinter ihnen das Wasser, ob dort das viel sagende Kräuseln entstand, mit dem sich die vorgewölbten Augen aus dem Wasser schoben. Er schauderte und blies die Wangen auf, als er daran dachte, dass ihnen derart gnadenlose, effiziente Räuber auflauern konnten, doch er vergaß
seine Ängste, als er Ben sah. Der Junge war weiß wie ein Laken, hatte die Arme um sich geschlungen und starrte wie hypnotisiert zum Fluss hinaus.
»Ben?« Der Junge drehte sich um, versuchte zu lächeln und scheiterte kläglich. »Alles klar?«
»Ist das wirklich nötig?«, fragte er. »Können wir die Spur nicht einfach verwischen, indem wir am Ufer entlang waten?«
Yron lachte. »Es kommt darauf an, ob Ihr der Ansicht seid, man könne damit einem Panther oder einem Pfeil entkommen.«
»Aber sie sind doch weit hinter uns.«
»Ihr habt wirklich keine Ahnung, was?«, sagte Yron. »In einem stillen Augenblick da draußen auf dem Strom werde ich Euch erklären, wer diese Leute sind und warum wir uns so weit von ihnen entfernen sollten, wie es nur möglich ist.«
Ben sah sich ängstlich über die Schulter zur grünen Wand des Regenwaldes um.
»Worüber macht Ihr Euch Sorgen, Ben? Könnt Ihr etwa nicht schwimmen?« Yrons ermutigendes Lächeln verschwand sofort, als Ben die Augenbrauen hob und die Lippen schürzte. »Oh, nein. Von allen Leuten, mit denen ich hätte fliehen können, habe
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