Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege
sanft. »Ich brauche einfach nur einen Platz zum Schlafen, der sich nicht ständig unter mir bewegt.«
»Ich denke, so etwas lässt sich hier einrichten.« Hirad sah sich zum Unbekannten um, legte den Kopf schief und musterte die zahlreichen Protektoren und xeteskianischen Magier.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte er. »Das ist ein bisschen mehr als eine Forschungsexpedition, oder?«
Der Unbekannte schüttelte ernst den Kopf.
»Es ist viel mehr als das«, sagte er. »Hör mal, wir können
nicht hier bleiben. Auf Balaia gibt es Arbeit für den Raben.«
»Wir müssen wohl zuerst nach Calaius.« Hirad führte sie den Weg hinauf und warf einen letzten Blick zu den Xeteskianern. »Das wird Ilkar nicht gefallen. Kommt schon, wir wollen euch im Haus unterbringen.«
Drittes Kapitel
Dystran, der Herr vom Berge in Xetesk, dem Dunklen Kolleg der balaianischen Magie, hatte es sich in seinem tiefen, mit Leder gepolsterten Lieblingssessel bequem gemacht. Ein Feuer wärmte an diesem kühlen Spätfrühlingstag sein Arbeitszimmer und erfüllte es mit einem gelben, flackernden Schein, passend zum bleichen Sonnenlicht, das durchs Fenster hereinfiel. Ein Becher Kräutertee dampfte rechts neben ihm auf dem niedrigen Tisch.
Er hatte das höchste Amt in Xetesk seit nunmehr sechs Jahren inne, was ihn sogar selbst erstaunte. Sein Aufstieg war von einer mächtigen Splittergruppe zu einem Zeitpunkt inszeniert worden, als der vorherige Amtsinhaber Styliann noch lebte – ein beispielloses Vorgehen. Dystran war sich darüber im Klaren gewesen, dass seine Amtszeit kurz und blutig hätte verlaufen sollen, doch die Begleitumstände und das schiere Glück hatten sich zu seinen Gunsten verschworen.
Styliann war getötet und eine Invasion war zurückgeschlagen worden, und danach verlangte man nach einer
Phase der Ruhe. Dystran hatte überlebt, war zunächst aber kaum mehr als eine Marionette gewesen. Die folgenden Jahre hatten es ihm jedoch erlaubt, weitgehend ohne Widerstand eine eigene Machtbasis aufzubauen. Aus dem früheren Fädenzieher war ein unterwürfiger Ratgeber geworden, und auch wenn kein Herr vom Berge seines Lebens jemals wirklich sicher sein konnte, hatte Dystran immerhin die Achtung des Kreises der Sieben erworben, des Zirkels der Seniormagier von Xetesk, deren Türme das Zentrum des Kollegs umgaben.
Wenn Dystran sich nicht sehr irrte, stand Xetesk kurz davor, die endgültige Vorherrschaft in Balaia zu erringen, auch wenn es ein teuer erkaufter Sieg werden konnte. Die Ereignisse, die im unglücklichen Tod des Nachtkindes Lyanna gipfelten, hatten in den Augen der Nichtmagier ein Vermächtnis von Hass und Misstrauen hinterlassen. Diese Leute stellten freilich eine eher desorganisierte Bedrohung dar, die von aggressiver Magie hinweggefegt werden sollte, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen war.
Als positiv war die Tatsache zu verbuchen, dass man die Al-Drechar gefunden hatte. Dystran war entschlossen, sie unter seine Kontrolle zu bringen, und hatte die ersten Schritte in diese Richtung bereits unternommen. Eine Schande, dass Dordover beschlossen hatte, gegen ihn zu kämpfen, doch auf die eine oder andere Weise war ein Krieg ohnehin unvermeidlich gewesen. Solange er Lystern außen vor halten konnte und Julatsa hilflos war, stand außer Frage, wer in diesem Krieg den Sieg davontragen würde.
Noch besser als die Entdeckung der Al-Drechar war das, was seine Agenten beim Studium der komplizierten Texte über die natürlichen Verbindungen zwischen den Elfen, der Erde und der Magie herausgefunden hatten.
Dies hatte ihn auf eine Idee gebracht, die durchaus dazu führen konnte, dass Xetesk sehr bald schon nicht nur über Balaia, sondern auch über Calaius herrschte. Er wartete voller Ungeduld auf die Fortschritte, wenngleich er verstand, dass man umsichtig und verdeckt vorgehen musste. Und der Mann, der ihm gegenüber am Feuer saß, teilte seine Einschätzung.
Der alternde Ranyl war dem Tode nahe, besaß jedoch eine große Vitalität und Geistesschärfe, die in seinem schlaffen Gesicht die Augen leuchten ließen und die nicht recht zu seinem hinfälligen, vom Krebs verwüsteten Körper passen wollten.
»Und wann werden wir etwas von der Expedition hören?« , fragte Dystran.
»Das wird noch einige Zeit dauern, mein Lord«, antwortete Ranyl. »Die Kommunion ist über eine so weite Entfernung nicht möglich. Ich habe um einen Zwischenbericht binnen dreißig Tagen gebeten, doch es könnte eine langwierige, schwierige Operation
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