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Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege

Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege

Titel: Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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Dordover verbündet sind, wären sie allein nicht stark genug. Mit Julatsa zusammen könnte es reichen. Aber Julatsa braucht sein Herz. Wir müssen Lebewohl sagen und aufbrechen. Balaia kann nicht warten. Und was Erienne in sich trägt, muss von hier fortgebracht werden. Ich denke, das versteht ihr alle.«
    Erienne schob ihren Stuhl zurück und stand langsam auf. Sie schüttelte Densers fürsorglichen Arm ab.
    »Es freut mich, dass ihr euch alles so genau überlegt habt«, sagte sie. »Ilkar kann gehen, seine Magier suchen und Balaia wieder aufbauen – und so nebenbei kümmert
ihr euch auch um die arme Erienne und bringt sie vor diesen bösen Xeteskianern in Sicherheit.«
    Sie unterbrach sich und sah sich wütend am Tisch um. Niemand wagte es, etwas zu sagen. Dem Unbekannten wurde es plötzlich kalt, er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte, und verfluchte sich innerlich. Ihm war klar, was sie sagen würde, noch bevor sie es ausgesprochen hatte.
    »Wer von euch glauben sollte, ich ließe meine Tochter hier, wo sie der Gnade ihrer Mörderinnen und des Dunklen Kollegs ausgeliefert ist, hat nichts als meine Verachtung verdient. Ich bin sicher, dass ihr das alle versteht.«
    Damit verließ sie die Küche.
    »Das war nicht gerade sehr diplomatisch von dir«, sagte Ilkar.
    »Nein«, gab der Unbekannte zu. Er hatte das Ausmaß ihres Kummers und ihre Verfassung völlig falsch eingeschätzt, und obwohl er mit ihr fühlte, konnte er nicht verstehen, warum sie sich in der ganzen Zeit, seit er die Insel verlassen hatte, keinen Millimeter bewegt hatte. »Sie wird schon zu sich kommen.«
    »Bis morgen? Keine Chance«, sagte Denser. »Sie denkt nicht rational, sie ist nicht berechenbar.«
    »Du musst sie zur Vernunft bringen. Sie ist hier nicht sicher. Und wir brauchen sie. Sie gehört zum Raben.«
    Ilkar rutschte auf dem Stuhl herum und kniff verblüfft die schrägen Augen zusammen.
    »Das war doch noch nicht alles, oder? Irgendetwas beschäftigt dich, denn das hier sieht dir überhaupt nicht ähnlich. Du bist viel zu vorsichtig. Was ist los?«
    Der Unbekannte schüttelte den Kopf. »Du warst nicht dort, du hast es nicht gefühlt. Balaia stirbt.«
    »Was meinst du damit?«, wollte Hirad wissen.

    »Es ist schwer zu erklären, aber jeder Protektor hier wird es dir bestätigen. Es ist, als schmeckte die Luft nicht mehr richtig. Es gibt dort Kräfte, die versuchen, Balaia und seiner Bevölkerung Dinge aufzuzwingen, die gegen die natürliche Ordnung verstoßen. Ich meine jetzt nicht nur Selik und die Schwarzen Schwingen, sondern auch die Kollegien. Sie haben sich zweieinhalb Jahrtausende lang gegenseitig vom Schlimmsten abgehalten. Jetzt fallen sie übereinander her, und dabei werden sie ganz Balaia umbringen. Das will ich nicht zulassen.
    Aber wo ist eigentlich Thraun?«
    Hirad seufzte und warf Ilkar einen fragenden Blick zu. Der Elf starrte seinen Teller an, Ren hatte ihm den Arm um die Schultern gelegt. Dem Unbekannten würde nicht gefallen, was er gleich hören würde, so viel war klar.
     
    Der Unbekannte fand Thraun erst weit nach Mitternacht. Beinahe wäre er über den wilden Mann gestolpert. Die dunkle Nacht, die tiefen Schatten unter den Buchen und im Gebüsch sowie Thrauns scheue Zurückhaltung hatten dazu geführt, dass der Unbekannte mit einer Laterne mehrere Stunden ergebnislos hatte suchen müssen. Er hatte alle Hilfsangebote ausgeschlagen. Aus Gründen, die er nicht in Worte kleiden wollte, war er sicher, die Freude sei größer, wenn er dem Gestaltwandler allein begegnete.
    Als er den Schlafenden dann endlich fand, blieb er eine Weile vor ihm stehen und betrachtete ihn. Thrauns Gesicht war in Falten gelegt, und er knirschte im Traum mit den Zähnen. Erinnerungen und Ängste stiegen auf und störten seinen Schlummer. Er lag zusammengerollt auf der Seite, hatte die Hände zu Fäusten geballt und die Beine stark angezogen. Aus Decken vom Haus hatte er sich ein Bett gerichtet, rings um ihn waren die Habseligkeiten eines verwirrten
Geistes verstreut, der verzweifelt sich selbst zu finden suchte, ohne zu wissen, wo er sich überhaupt verloren hatte. Eine leere Flasche lag dort, ein Buch, Fetzen eines Wandteppichs, ein Messer aus der Küche, eine leere Schale und ein Pfeil. Eine seltsame Mischung.
    Der Unbekannte kniete sich neben Thraun, und in diesem Augenblick schlug der Gestaltwandler die Augen auf.
    »Wie ich sehe, kannst du dich auf deine Sinne immer noch verlassen«, sagte er und stellte die Laterne ab.
    Thrauns

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