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Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege

Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege

Titel: Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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Augen zeigten keine Furcht, nur Verwirrung und Müdigkeit. Dann dämmerte das Erkennen, und sein Gesicht entspannte sich.
    »Schon besser«, sagte der Unbekannte. »Es ist schön, dich wieder zu sehen. Hirad sagte mir, du könntest das meiste von dem, was ich sage, verstehen, aber du könntest nicht sprechen. Kannst du mir denn irgendwie zeigen, dass du mich verstanden hast?«
    Thraun nickte und grunzte bejahend. Der Unbekannte senkte einen Moment den Blick, ehe er wieder aufschaute.
    »Es tut mir Leid. Ich hätte wohl nicht mit dir reden sollen wie mit einem Kind, was?«
    Ein Kopfschütteln.
    »Was ist da in dir drin, Thraun? Was hält dich zurück? Der Wolf in dir behindert irgendwie deinen menschlichen Verstand, nicht wahr? Was können wir tun?«
    Thraun ließ den Kopf hängen und kauerte sich mit feuchten Augen zusammen. Er sah den Unbekannten flehend an, und der große Mann drückte kurz Thrauns Schulter.
    »Bei den Göttern, ich kann es verstehen wie kein Zweiter. Ich will dir etwas sagen, das ich noch niemandem erzählt habe.« Er setzte sich hin und lehnte sich an einen
Baum. Es war eine ruhige Nacht, nur ab und zu raschelte eine leichte warme Brise über ihnen in den Blättern.
    »Ich habe glücklicherweise nicht sehr lange als Protektor gedient, und ein tapferer Magier gab sein Leben hin, um mich zu befreien und mir meine Seele zurückzugeben. Doch in der Zeit, in der ich dazugehört habe, konnte ich eine Verbundenheit spüren, die sich durch nichts anderes ersetzen lässt. Es ging weit über Freundschaft und Liebe hinaus. Es war tiefer als beides, obwohl beides ein Teil davon war, wie ich glaube. Es ist sehr schwer zu beschreiben, und ich kann eigentlich nur sagen, dass es eine äußerst tiefe Verbundenheit und ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl war. Niemand, so dachte ich, der dies nicht selbst erlebt hat, könnte es verstehen. Ich wollte unbedingt befreit werden, doch als ich befreit wurde, verlor ich auch etwas, das ich für unersetzlich hielt. Vielleicht erinnerst du dich noch, wie ich mich in den ersten Tagen nach der Befreiung verhalten habe, aber vielleicht auch nicht.«
    Der Unbekannte hielt inne und wartete auf Thrauns Reaktion. Der Gestaltwandler starrte ihn mit großen Augen an. Ob es Verstehen war, Erinnerung oder schlichter Unglauben, war nicht klar. Aber wenigstens hörte Thraun aufmerksam zu.
    »Ich glaube, dass du in einer ähnlichen Situation bist wie ich, aber die Nachwirkung ist bei dir stärker, weil du fünf Jahre als Wolf verbracht hast, nicht nur ein paar Wochen. Das Rudel hat dir ein ähnliches Gefühl von Verbundenheit geschenkt, es hat dir vertraut, und du hast dem Rudel vertraut. Du machst dir Vorwürfe wegen der Dinge, die dem Rudel zugestoßen sind, als im Dornenwald der Sturm ausbrach und als wir in Arlen am Hafen gekämpft haben.

    Jetzt hast du wieder deine menschliche Gestalt angenommen, und du hast das Gefühl, vor etwas wegzulaufen. So ist es aber nicht. Es ist genau wie mit mir und den Protektoren. Ein Teil von dir wird immer bei dem Rudel bleiben, das frei herumläuft. Halte daran fest, aber lass es nicht deinen Verstand trüben. Erinnere dich und nutze es.
    Was du aber wirklich verstehen musst, auch wenn ich nicht weiß, ob ich es erklären kann, ist die Tatsache, dass es etwas gibt, das dir zurückbringen kann, was du verloren hast. Ich habe eine Ewigkeit gebraucht, um es zu begreifen, aber es lässt sich nicht verleugnen. Beim Raben gibt es diese Bindung. Zusammen sind wir stärker, als wir es jemals als Individuen sein könnten. Wir sind füreinander wichtig, und wir können etwas bewegen. Wenn du in dich hineinschaust, wirst du erkennen, dass es wahr ist. Verstehst du das?«
    Eine Weile rührte Thraun sich nicht und starrte nur ins Leere. Über seine linke Wange rollte eine einzelne Träne, und das Stirnrunzeln war wieder da; er hatte tiefe Furchen auf der Stirn. Doch dann klärte sich sein Gesicht, und er richtete sich auf. Er nagte an der Oberlippe und atmete tief ein. Er nickte nicht und gab auch sonst nicht zu erkennen, dass er verstanden hatte, was der Unbekannte ihm hatte sagen wollen, doch es war klar, dass die Worte auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Der Unbekannte hatte den Eindruck, Thraun versuchte jetzt, sich auf eine andere Art mitzuteilen.
    »Nur zu«, sagte er. »Versuche, die Worte zu formen.«
    Thraun öffnete den Mund und suchte den Blick des Unbekannten, bekam aber außer einem trockenen Keuchen nichts heraus. Zornig schloss er den Mund

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