Die Legenden des Raben 02 - Elfenjagd
sagte Erienne. »Aber …«
»Es ist doch nicht so, als würdest du eine Niederlage erleiden«, sagte Denser. »Glaubst du nicht, dass du deinen Standpunkt klar gemacht hast?«
Erienne seufzte, denn er hatte natürlich Recht. Aber gesiegt hatte sie auch nicht – sie hatte lediglich die Niederlage vermieden, indem sie lange verleugnet hatte, was sie in sich trug. Anfangs, als sie vom Kummer über Lyannas Tod erfüllt gewesen war, hatte sie es leicht unterdrücken können. Jetzt ließ der Kummer ein wenig nach, und sie war offener und zuversichtlicher, und sofort versuchte das Eine, sich mit erneuerter Kraft in ihr durchzusetzen.
»Bleibst du hier und hilfst mir?«, fragte sie. Sie öffnete die Augen und hielt seinen Arm fest.
»Wo sonst sollte ich sein, wenn nicht an deiner Seite?«
Ihre Liebe zu ihm fegte einen kleinen Augenblick lang die Schmerzen beiseite. »Also gut. Wenn du meinst, dass ich mich darauf einlassen soll.«
»Das denke ich«, sagte er und hörte nicht auf, ihre Haare zu streicheln. »Aber vor allem musst du es selbst wollen.«
Sie nickte. Es musste jetzt geschehen. Die Schmerzen waren kaum auszuhalten, und es gab nur eine Möglichkeit,
Hilfe zu bekommen. So schloss sie wieder die Augen, sprach in ihrem Bewusstsein zu den Al-Drechar und hoffte das Beste.
Seid ihr da?, fragte sie. Ihr Ton war unfreundlich, und sie hatte nicht das Bedürfnis, höflich zu sein. Sie sollten von Anfang an wissen, dass ihr Handeln nicht von dem Wunsch getragen war zu vergeben. Nur auf das Verständnis für das, was sie in sich trug, kam es ihr an. Myriell? Cleress? Seid ihr da?
Erienne, wir haben gewartet. Wir waren immer nahe, sind aber nie in dein Bewusstsein eingedrungen. Cleress’ Stimme war wie Honig für einen heiseren Hals. Es ist schön, von dir zu hören.
Es ist keine Freude, mit euch zu sprechen, doch es muss sein, antwortete Erienne.
Wir verstehen, dass du immer noch Zorn und Hass empfindest, erwiderte Myriell. Aber glaube uns bitte, dass wir dir nur helfen wollen, das zu akzeptieren, was dein Bewusstsein birgt, ehe es dich zerstört. Und zerstören wird es dich.
Droht mir nicht, sagte Erienne. Das Hämmern im Kopf war unerträglich. Ich bin kein Kind, das ihr mit Schauermärchen einschüchtern könnt.
Ich informiere dich lediglich über die Tatsachen, nichts weiter, sagte Myriell. Ich nehme an, du hast Schmerzen?
Schmerzen, wie ich sie noch nie hatte, gab Erienne zu. Es geht schon seit Tagen so, aber jetzt wird es so schlimm, dass ich kaum noch etwas sehen oder aufrecht stehen kann. Ich hoffe nicht, ihr habt sie ausgelöst.
Oh, Erienne, wie kannst du das nur glauben? Wir wollten dich nie verletzen, ermahnte Cleress sie sanft.
Erienne hätte beinahe laut gelacht, obwohl sie nicht belustigt, sondern verbittert war. Ihr habt meine Tochter umgebracht. Gibt es überhaupt eine größere Verletzung?
Wir wollten so sehr, dass Lyanna überlebt. Doch das Eine hat sie getötet. Ich wünschte, du könntest uns glauben.
Und jetzt habe ich das Eine in mir, ob es mir gefällt oder nicht, antwortete Erienne. Es gelang ihr, den pochenden Schmerz ein wenig zurückzudrängen. Ihr habt es nicht für nötig gehalten, mich frei entscheiden zu lassen. Eure Überheblichkeit kennt keine Grenzen.
Erienne, deine Tochter konnte diese Kraft nicht bändigen, weil Dordover sie zu früh geweckt hat, erklärte Cleress. Du als ihre Mutter und als Dordovanerin warst als Einzige fähig, es am Leben zu halten – diesen Teil Lyannas am Leben zu halten. Damals tobte gerade eine Schlacht. Wir hatten keine Zeit, darüber zu diskutieren, und du hättest dich sowieso geweigert.
Cleress’ Stimme verriet keinerlei Schuldgefühle, nicht das geringste Bedauern. Es war nichts als die Erläuterung einer Notwendigkeit. Eigentlich hätte Erienne vor Wut explodieren müssen, doch obwohl sie verabscheute, was die Al-Drechar getan hatten, konnte sie fühlen, dass die Magie des Einen, die in ihrem Bewusstsein hauste, von Lyanna genährt und gestärkt worden war. Die schöne Lyanna. Tränen rannen ihr übers Gesicht. Denser strich ihr beruhigend über die Stirn und die Haare. Er sagte nichts.
Ihr müsst die Schmerzen wegnehmen, sagte sie. Rasch.
Das können wir tun, aber dazu musst du uns ganz in dein Bewusstsein lassen. Und du musst akzeptieren, dass eine von uns immer bei dir ist, um dich anzuleiten, sagte Cleress. Wir werden schweigen, solange du nicht fragst und solange wir keine Gefahr für dein Bewusstsein erkennen. Du musst aber
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