Die Legenden des Raben 03 - Schattenherz
Augen konnten die Dunkelheit mühelos durchdringen.
»Hirad, ich trage Erienne, du nimmst das freie Pferd. Sie kann nicht reiten. Los jetzt, los doch!« Im Laufen sah sich der Unbekannte um.
Lysternische Soldaten näherten sich der Rüstkammer. Vor ihm war Darrick schon in den Sattel gesprungen, wie es
nur ein Kavallerist konnte, und hatte sich eine Harke geschnappt. Hirad stieg gerade aufs Pferd, Thraun hatte inzwischen die letzte Stalltür geöffnet.
Der Unbekannte legte sich Erienne über die linke Schulter, setzte einen Fuß in den Steigbügel und schwang sich auf sein Pferd, wobei ein stechender Schmerz durch seine Hüfte fuhr. Dann setzte er Erienne vor sich auf den Sattel. Neben seinem Kopf schlug ein Pfeil in einen Balken.
»Der Rabe, reitet!«
Er riss fest an den Zügeln, zog sein Pferd zum Eingang herum und ließ es die Hacken spüren. Das Tier schoss los. Darrick ritt ein Stück zurück und schwang die Harke. Pfeifend kreiste sie und traf mit einem dumpfen Schlag eine Lederrüstung.
Der Rabe stürmte auf die Koppel hinaus. Gleich neben dem Unbekannten bereitete Denser einen Spruch vor. Hinter ihm ritt Hirad geduckt und hatte mit der linken Hand die Zügel von Eriennes Pferd gepackt. Thraun hielt sich rechts vom Unbekannten, Darrick trieb sein Pferd mit einem Ruf an.
Vor ihnen war der Zaun der Koppel, dahinter ragte die Mauer des Kollegs auf, zu beiden Seiten standen Häuser. Zwischen diesen Häusern tauchten bereits Soldaten und Magier auf und versuchten, ihnen den Weg abzuschneiden.
»Festhalten, Erienne«, sagte der Unbekannte.
»Ich habe sowieso gerade nichts Besseres zu tun«, antwortete sie.
Denser hatte einen Spruchschild gewirkt, der unter dem Angriff der lysternischen Magier dunkelblau flackerte. Der Unbekannte hatte keine Entladung gesehen, also hatten sie es mit einem Kraftkegel oder einem Angriff auf den Geist versucht. Einerseits war er erleichtert, dass es kein tödlicher Angriff gewesen war, andererseits gab es nur eine Möglichkeit,
das einsetzende magische Trommelfeuer zu stören, das Denser allein und im Reiten nicht lange abhalten konnte.
»Wir reiten sie über den Haufen!«, brüllte der Unbekannte.
Wieder trat er seinem Pferd die Hacken in die Seite, hielt Erienne fest und überwand mit einem Sprung den Zaun. Draußen bog er sofort nach links ab und hielt auf die Soldaten zu, die sich vor dem Stadttor in einer Reihe aufgestellt hatten. Denser und Hirad folgten ihm, Thraun und Darrick sicherten die Flanken. Der ehemalige lysternische Kavalleriegeneral hielt sich weit links und schlug mit der Harke in der linken Hand zu. Die Soldaten brachten sich eilig in Sicherheit, zumal sie ohnehin keine große Lust hatten, gegen ihren früheren Vorgesetzten zu kämpfen.
Die Abteilung vor ihnen, zu der glücklicherweise keine Bogenschützen zählten, setzte sich in Bewegung. Der Rabe hielt jedoch nicht an, und die Pferde waren ohnehin im Kampf gegen Fußtruppen ausgebildet. Sie würden den Gegnern ausweichen und einen direkten Kontakt vermeiden, aber sie würden nicht stehen bleiben.
»Aus dem Weg!«, rief der Unbekannte. »Macht Platz!«
Dann waren sie mitten im Getümmel. Ohne Befehle gab es keine Ordnung, und die Soldaten waren sowieso nicht geneigt, sich einem galoppierenden Pferd in den Weg zu stellen. Pfeile und Sprüche kamen jetzt auch nicht mehr infrage.
Der Rabe stürmte zum Tor, das offen, aber mit Wagen versperrt war, die zu hoch waren, dass die Pferde hätten darüberspringen können.
»Lass uns nicht im Stich, Denser«, sagte der Unbekannte leise.
Der Magier richtete sich im Sattel auf, ließ die Zügel fallen und stieß die Arme nach vorn, wobei er die Handflächen
nach oben und außen drehte. Der Kraftkegel raste los und traf einen Wagen, dessen Räder kreischend über den Boden rutschten. Das Holz der Seitenwände brach, die Plane riss. Der Wagen überschlug sich, und die Soldaten brachten sich mit einem Sprung in Sicherheit.
»Los!«, rief Denser triumphierend.
Der Unbekannte lachte, und der Rabe donnerte in die Straßen von Lystern hinaus.
Sechstes Kapitel
Auum wich ein Stück in den Schatten zurück, als drei Wächter vorbeikamen. Sie entfernten sich nicht weit von den Mauern des Kollegs von Xetesk, die von Fackeln, Laternen und Sprüchen hell beleuchtet wurden. Ihre Augen blieben stets auf das Zwielicht am Rand des Lichtscheins gerichtet. Zwar wussten sie, dass eine Gefahr drohte, doch sie konnten sie nicht sehen und würden nichts bemerken, bis es zu spät
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