Die Legenden des Raben 05 - Drachenlord
hatte die Anweisung gegeben, noch einen zweiten Tunnel anzulegen.
Eines Tages würden die Dämonen diesen hier finden. Früher oder später fanden sie alles.
Dabei konnte Julatsa sich noch glücklich schätzen. Als die Dämonen Balaia überflutet hatten, hatte einer von Pheones Spektrumsanalytikern die panische Kommunion eines dordovanischen Magiers aufgefangen. Sie war abrupt abgebrochen, hatte ihnen jedoch einige kostbare Stunden Vorbereitungszeit verschafft. Die Magier waren sofort ins Kolleg zurückgerufen worden, der Kornspeicher wurde geleert, sein Inhalt anderswo eingelagert. Die Stadtwächter wurden gebeten, ihre Bezirke und Wachen zu verlassen, das Vieh wurde in den Hof getrieben.
In diesen Momenten hatte Pheone erkannt, wie hartherzig sie sein konnte. Sie hatten rasch berechnet, wie vielen Menschen sie Schutz bieten konnten, und eine entsprechende Anzahl hereingeholt. Wenn möglich, hatten sie ganze Familien aufgenommen. Schmiede, Baumeister und Heiler. Kein Mitgefühl. Es ging ums Überleben.
Sie hatten die Abdeckung des Geländes mit Kalträumen geplant und dafür gesorgt, dass alle Brunnen und Lagerräume gut geschützt waren. Jeden, der es wollte, hatten sie hinter die reparierten Tore des Kollegs zurückgerufen. Die Ratsmitglieder hatten das Kolleg angefleht, sie einzulassen, als in der Stadt aufgrund der Gerüchte eine Panik ausbrach. Der Bürgermeister hatte seine persönliche Sicherheit mit dem Reichtum Julatsas erkaufen wollen. Sie hatten sogar gedroht, die Tore zu erstürmen, doch dazu waren sie nicht stark genug gewesen. Julatsas Magier hatten die Schwerter, Bogen und die Magie der Al-Arynaar auf ihrer Seite.
Die letzten Worte, die sie vor der Sicherung der Tore durch Schutzsprüche zum Bürgermeister gesagt hatte, würde sie nie vergessen.
»Euer Geld bedeutet mir so wenig wie Euer Wort. So wenig, wie Euch das Leben der Elfen und Magier im Kolleg bedeutet hat, als Xetesk es besetzen wollte. Wo war da Eure Loyalität? Wir haben Euch um Hilfe gebeten. Ihr habt Euch geweigert. Nun erntet, was Ihr gesät habt.«
Damit hatte sie ihn verdammt, als Untertan der Dämonen zu leben, oder, wenn er Glück hatte, einen raschen Tod zu finden. Für ihn und seinen Rat der Feiglinge empfand sie kein Mitgefühl. Um die Unschuldigen aber, die sie nicht aufnehmen konnte, hatte sie bitterlich geweint. Ihnen musste es scheinen, als hätte die verfluchte Magie ihren letzten, vernichtenden Schlag geführt und einen Feind auf sie losgelassen, gegen den sie nicht einmal kämpfen konnten.
Die Magier waren die einzige Hoffnung, doch auf ganz Balaia rangen die Magier ums Überleben, sofern sie nicht längst tot waren. Es war eine grausame Ironie, dass Julatsa, das nur wenige Stunden vor der Vernichtung gestanden hatte, nach allen Informationen, die sie gewonnen hatte, auf einmal das stärkste aller Kollegien war.
In Julatsa befanden sich fast einhundertachtzig Magier, teils Al-Arynaar und teils ständig dort lebende Magier, außerdem hatten sich fast zweihundert Elfenkrieger im Kolleg aufgehalten, als die Dämonen angegriffen hatten. Ihr Kampfgeist war ungebrochen, und sie waren körperlich nicht beeinträchtigt.
Wirklich erstaunliche Krieger. So entschlossen, so willensstark. Sie hielten das Kolleg in den ersten, dunkelsten Tagen in Gang. Sie jagten, sie kämpften und überlebten. Es kam ihnen einfach nicht in den Sinn, dass sie besiegt werden könnten.
Auch die Dämonen nahmen sich vor ihnen in Acht, und das war der einzige Hoffnungsfunke, auf den sie bauen
konnten. Die Seelen der Elfen konnten nicht durch eine bloße Berührung verschlungen werden. Dila’heth hatte erklärt, dass Shorth, ihr Totengott, sie beschützte.
Was auch immer der Grund war, die Elfen konnten jedenfalls ohne Schutz eines Kaltraums auf ihre Streifzüge gehen. Menschen wie Pheone mussten ihnen einfach vertrauen, wenn sie gebeten wurden, magische Rückendeckung zu geben. Sie wusste um die Kampfkraft der Elfen, doch selbst deren taktisches Geschick konnte ihr nicht alle Ängste nehmen.
Sechs Elfen waren jetzt bei ihr, fünf Krieger und ein Magier. Wie Schatten huschten sie durch die stillen Straßen zum unberührten, fruchtbaren Ackerland, das direkt vor der Stadtgrenze entstanden war. Anfangs hatte sie ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie das Essen stahlen. Doch als sie nach einer Weile erkannt hatten, dass ihnen die Nahrung geradezu serviert wurde, ließen die Schuldgefühle nach.
Das Seltsame war natürlich, dass die Dämonen
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