Die Legenden von Attolia 1: Der Dieb (German Edition)
stört. Hat er nicht gedroht, dich an einen Stapel Enzyklopädien gebunden in den Fluss zu werfen?«
Sogar Pol lachte, als Sophos errötete. »Er denkt wirklich, dass ich nicht so viel Zeit mit Buchgelehrsamkeit verbringen sollte, aber er findet, dass sie für andere angemessen ist.«
Kurz herrschte am Feuer ein Schweigen, das ich nicht verstand. Nach Ambiades’ Gesichtsausdruck zu urteilen war das, was ihm zu schaffen machte, gerade mit voller Wucht über ihn hereingebrochen. Um die Stille zu beenden, versprach der Magus Sophos, ihm ein paar Geschichten über die alten Götter zu erzählen. Er begann mit der Schöpfung und der Geburt der Götter, und so schlecht machte er seine Sache gar nicht. Ich lag auf dem Rücken und hörte zu.
Kapitel 5
Die Schöpfung der Erde und die Geburt der Götter
Die Erde war allein. Sie hatte keinen Gefährten. Also nahm sie ein Stück aus ihrer Mitte und schuf die Sonne und damit den ersten Gott. Aber nach einer Weile verließ er die Erde. Er versprach, ihr tagsüber stets Licht zu spenden, aber nachts war sie immer noch allein. So nahm sie ein Stück von ihrem Rand und schuf den Mond und damit die erste Göttin. Nach einer Weile trennte auch der Mond sich von der Erde und versprach, Licht zu senden, damit es der Erde nachts Gesellschaft leisten würde, aber die Versprechen des Mondes sind nichts wert: Die Göttin schickte nur einen Teil ihres Lichts und vergaß es manchmal ganz. Wenn sie es vergaß, dann gab es überhaupt keinen Mondschein, und die Erde war wieder allein.
So hauchte sie ans Firmament und schuf den Himmel.
Der Himmel umschlang sie vollkommen und wurde ihr Gefährte. Er versprach, immer bei ihr zu bleiben, und die Erde war glücklich.
Die ersten Kinder des Himmels und der Erde waren die Bergketten, und Hephestia war die älteste. Sie hatten weitere Kinder: die großen Ozeane und das Mittlere Meer. Ihre jüngsten Kinder waren die großen Flüsse Seperchia und Skander.
Eines Tages wollte der Himmel wissen, wie er aussah, und so schuf die Erde tausend Göttinnen und verteilte sie über die ganze Welt, um Spiegel für den Himmel zu halten: Das sind die Seen. Der Himmel sah sich in den Spiegeln an. Er war blau und weiß mit Wolken und manchmal schwarz und sternenübersät, und wenn die Sonne unterging, war er wirklich schön. Er wurde eitel. Er sah die Erde an, die rund und farblos war, und fühlte sich überlegen.
»Ich bin recht schön«, sagte er zur Erde, »aber du bist sehr langweilig. Das einzig Schöne an dir sind deine Seen.« Und er verbrachte die ganze Zeit damit, ins Wasser zu blicken, und sprach nicht mit der Erde. So kehrte die Erde den Staub von den Bergen zusammen und schuf daraus Schnee und aus dem Staub der Täler dunklen Mutterboden, und in den Boden säte sie die Samen von Wäldern und Blumen und bedeckte sich mit grünen Bäumen und leuchtenden Farben und sagte dem Himmel, dass sie so schön sei wie er. Aber er hatte nur Augen für die Seen, die seinen eigenen Glanz widerspiegelten. Sie gebaren ihm Kinder: Das waren die kleineren Flüsse und Bäche. Die Erde war eifersüchtig und ließ Bäume um jeden einzelnen der Seen wachsen, so dass sie vor dem Blick des Himmels verborgen waren.
Der Himmel zürnte. Er nahm etwas von dem schwarzen Boden aus den Tälern der Erde und etwas Schnee von ihren Bergen, vermischte sie, blies kräftig und verteilte sie über die Welt. Jedes Staubkörnchen wuchs zu einem Menschen heran, manche dunkel wie die Erde der Täler und manche weiß wie Schnee. So müssen wir, obwohl wir der Erde entstammen, dem Himmel für unsere Erschaffung danken, denn es war der Himmel, der die Menschen schuf. Aber er war ungeduldig und machte seine Sache nicht so gut, wie die Erde es getan hätte. Die Menschen wurden klein und schwach; ihnen fehlten die Gaben der Götter. Als der Himmel die Menschen ausschickte, den Wald um die Seen herum abzuholzen, waren sie zu schwach, die Bäume zu fällen.
Die Erde sah sich an, wie sie durch ihre Wälder kletterten, und fragte: »Warum hast du die hier geschaffen?«
Und der Himmel schämte sich und sagte ihr, dass er die Seen sehen wollte, und die Erde schämte sich und sagte, dass sie wollte, dass der Himmel sich nur mit ihr unterhielt. Der Himmel versprach, dass er die Seen bloß noch manchmal ansehen würde, und die Erde versprach, nur noch ein paar der Seen zwischen den Bäumen zu verstecken. Und sie waren glücklich.
Aber die Erde betrachtete die Menschen, die der Himmel geschaffen
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