Die Legenden von Attolia 4: Die Verschwörer (German Edition)
begann, Steine in die Mauer einzupassen, die ich baute, angestrengt darüber nach, was ich wollte. Mein Leben lang hatten andere Menschen die Wahl für mich getroffen: mein Vater oder der König von Sounis, sein Magus oder die anderen Ratgeber des Königs. Mein Leben lang hatten sie Entscheidungen für mich gefällt, und das hatte mir widerstrebt. Jetzt hatte ich die Wahl, und wenn ich sie getroffen hatte, würde ich nicht das Recht haben, jemand anderem die Schuld an den Konsequenzen zu geben. Der Verlust dieses Privilegs, anderen die Schuld zu geben, traf mich unerwartet hart.
Ich wollte keine Wahl; ich wollte hierbleiben, wo ich war, Mauern bauen, Gedichte mit einem begierigen Publikum teilen und mit Freunden schwimmen gehen, aber ich wollte nicht, dass es meine Entscheidung war.
Von Selbstekel angetrieben arbeitete ich schneller, hob die größten Steinbrocken auf, warf sie hin und sah erzürnt zu, wenn sie schief landeten. Ochto schickte Runeus zu mir, um mir zur Hand zu gehen, aber Runeus wich vor meinem finsteren Blick zurück und entfernte sich. Mit einem hilflosen, an Ochto gerichteten Schulterzucken ging er anderswo an die Arbeit. Erst als ich mir die Fingerspitze zwischen zwei Steinen einklemmte und fluchend und schimpfend wie, na ja, ein Landarbeiter dastand, hörte ich auf. Ich wischte mir Tränen der Enttäuschung aus den Augen und stellte mich der Wahrheit.
Ich war glücklich gewesen. Und ich konnte bleiben, wenn ich wollte. Ich konnte mein Leben damit zubringen, die Olivenbäume zu betrachten, vor freundlichen Zuhörern alte Theaterstücke zu rezitieren und vorzügliche Mauern zu bauen, die länger stehen würden, als ich am Leben bleiben würde. Ich konnte die ein oder andere Münze sparen, die mir an Festtagen dank der Großzügigkeit des Barons zufiel, und mir mit der Zeit ein oder zwei Bücher kaufen, eine leere Schriftrolle, Tinte. In dreißig Jahren würde ich vielleicht wie der Dichter Leuka sein. Er war kein Feldarbeiter gewesen, aber Sklave, und seine Gedichte hatten ihn um vierhundert Jahre überlebt. Niemand würde etwas erfahren, bis auf die Götter und mich, und ich war mir sicher, dass es den Göttern gleichgültig war. Alles, was ich tun musste, war, den Mund zu halten, und ich wusste, dass ich das nicht tun konnte.
Was hätte ich gewählt, wenn ich alles hätte haben können? Nun, dann wäre ich kein Nichtsnutz gewesen. Ich wäre der Staatsmann gewesen, den mein Vater wollte, der Prinz, den mein Land benötigte. Aber das hatte ich nicht zu bieten. Ich war immer noch der arme Möchtegernprinz, der ich stets gewesen war. Höchstwahrscheinlich würde ich niemandem je etwas nützen – weder meinem Vater noch irgendjemandem sonst. Wenn der Aufstand der Barone erst niedergeschlagen war, würde ich noch erleben, wie mein Onkel heiratete und einen Erben zeugte, der mir haushoch überlegen war, und ich würde selbst in meinem eigenen Hause als nutzlos und unwillkommen verachtet werden. Dafür entschied ich mich.
Ich frage mich, ob Menschen sich immer für das entscheiden, was sie unglücklich machen wird.
Am Abend gingen wir zur Baracke zurück. Wir aßen, als das Licht am Himmel zu verblassen begann. Oben im Megaron kamen jetzt sicher die Gäste zusammen, um zu speisen. Während die anderen Männer sich, müde von einem Tag harter Arbeit, niederließen, sortierte ich die kleine Sammlung Muscheln und Steine durch, die ich am Strand gefunden hatte, und suchte mir meine Lieblingsstücke aus. Ich wickelte sie in den Lumpen, den ich als Tasche nutzte, und steckte sie mir in den Hosenbund. Neugierig verstummten die anderen Männer und beobachteten mich. Ich stand auf, wandte mich an Ochto und sagte: »Ich gehe.«
Ochto wollte schon verwirrt zustimmen, doch dann begriff er, dass ich nicht nach draußen ging, um mich zu erleichtern, bevor ich mich schlafen legte.
»Du kannst nicht weit kommen, Zecush«, sagte er.
»Ich habe auch keinen weiten Weg.«
Er sah zum Megaron hinauf und dann zu Dirnes hinüber. Er musste von meiner Bemerkung vorhin auf der Straße erfahren haben. »Wir können uns unsere Herren nicht aussuchen.«
»Ich schon«, sagte ich.
»Und warum sollte ich dich gehen lassen?«
Ich schluckte. »Wir alle müssen Entscheidungen treffen, Ochto. Es tut mir leid.«
Er starrte mich an. Mit einem Wort oder einer bloßen Handbewegung konnte er mich aufhalten. Die Männer in der Baracke würden aufspringen und mich packen. Die Kette zu dem eisernen Ring, den ich nach wie vor am
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