Die Leibwächterin (German Edition)
da nichts, und jagen muss man auch, wenn man überleben will. Die Luchse haben uns die Hühner weggefressen, bis wir das Federvieh in Käfige gesperrt haben, zu seiner eigenen Sicherheit.»
Nun lachte Helena Lehmusvuo laut auf. Sie hatte ein schönes Lachen, es klang, als rollten kleine Perlen durch eine silberne Rinne.
«Was für einen irren Typen spielst du denn da?»
«Ich bin der Reiska. Ein stinknormaler Finne. Ein anständiger Kerl, auch wenn ich gern mal einen über den Durst trinke. Ein ganz netter Bursche.»
«Wie bist du denn auf den verfallen?»
Ich verwandelte mich wieder in Hilja.
«Hast du nie daran gedacht, dass es Spaß machen könnte, ein Mann zu sein? Das ist in manchen Situationen ausgesprochen nützlich. Man wird sozusagen unsichtbar, man kann sich ungestört an Orten bewegen, wo eine Frau unliebsames Aufsehen erregen würde. Einem Luchsjungen sieht man nicht an, ob es Männchen oder Weibchen ist. Im Tierpark in Ähtäri haben sie ein im Wald gefundenes Luchsjunges Ines getauft, aber später stellte sich heraus, dass es ein Männchen ist, und jetzt heißt es Matikainen. Ich bin ein ähnlicher Fall. Und ich bin derselben Meinung wie Reiska: Deine Wohnung könnte eine Renovierung vertragen. Es müsste auch einiges angestrichen werden, oder? Wie viele Zimmer sind in der oberen Etage?»
«Zwei Schlafzimmer und eine Sauna, die ich nie benutze. Falls ich hier wohnen bleibe, lasse ich sie zum Fitnessraum umbauen.»
«Dann hast du Platz genug für Reiska, der sich zwischendurch in Hilja verwandeln kann. Hast du oft Besuch, der über Nacht bleibt?»
«Mein Sohn kommt gelegentlich. Er studiert in Otaniemi Architektur.»
«Vertraust du ihm?»
«Voll und ganz! Außerdem war er sehr zufrieden mit meinem Entschluss, Tiku zu verlassen.»
«Gut, dann stellst du Reiska ein. Du schließt einen Arbeitsvertrag mit ihm und zahlst den Lohn auf sein Konto.»
«Zahlt Reiska auch Steuern? Ich kann es mir nicht leisten, einen Schwarzarbeiter zu beschäftigen.»
Das stimmte. Aber Hilja konnte Arbeitslosengeld beziehen, wenn nur Reiska arbeitete und sein Lohn unter der Steuergrenze lag. Ich jonglierte eine Weile mit den Steuervorschriften, doch mein ehrliches Ich behielt die Oberhand.
«Es ist wohl doch besser, wenn du den Arbeitsvertrag mit mir schließt, also mit Hilja Ilveskero, nicht mit Reiska Räsänen. Der Vertrag geht nur uns beide und das Finanzamt etwas an, also kann Reiska tatsächlich hier renovieren. Damit haben wir einen glaubhaften Grund für seine Anwesenheit. Erzähl deinen Nachbarn, dass du einen Handwerker aus Savo engagiert hast, der zeitweise bei dir im Haus wohnt. Das Finanzamt wird das nicht nachprüfen. Wenn nötig, kann ich schon morgen anfangen.»
«Sonntagabend reicht, denn ich fahre morgen zu einer Sitzung nach Turku. Unsere Fraktion trifft sich im Kurhaus, um die Wahlkampagne zu planen. Dort wird mich bestimmt niemand attackieren.»
Ich seufzte und sah Helena tief in die müden braunen Augen.
«Hör mir mal zu, Helena. Du machst dir nicht ohne Grund Sorgen um deine Sicherheit. Auch wenn es deiner Meinung nach höchstwahrscheinlich Tiku ist, der dich bedroht, solltest du andere Möglichkeiten nicht ausschließen. Überleg doch mal, was für Unfälle selbst in einem normalen Schwimmbad passieren können. Leute ertrinken, rutschen auf der Seife aus, bekommen einen Stromschlag von fehlerhaft gewarteten Geräten. Wenn du mich engagieren willst, musst du dich an den Gedanken gewöhnen, dass es keinen absolut sicheren Ort gibt. Das habe ich am eigenen Leib erfahren.»
Helena Lehmusvuo versuchte zu lächeln, aber ihre Lippen zitterten. Das war ein gutes Zeichen. Es durfte ihr nicht so ergehen wie Anita, dafür würde ich notfalls mein Leben einsetzen.
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11
Wenn ich einen neuen Auftrag annahm, stellte ich jedes Mal gründliche Recherchen an. Darum war ich froh, dass ich im Voraus wenigstens einige Informationen über Helena Lehmusvuo gesammelt hatte. Sie gehörte zu den wenigen Abgeordneten, die ich auf der Straße erkannt hätte. Für Politik hatte ich mich nie sonderlich interessiert, auch zur Wahl ging ich nur, wenn ich gerade nichts Besseres zu tun hatte. Ich war Helenas Angestellte und brauchte mich nicht auf ihre Ideologie einzulassen. Wie riskant es war, freundschaftliche Beziehungen zum Auftraggeber anzuknüpfen, hatte ich gemerkt, als ich für Monika arbeitete. Ich ließ mir von Helena Tee nachgießen, bevor ich mit den Basisfragen begann:
«Kommst du
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