Die Leibwächterin (German Edition)
den gemeinsamen Mahlzeiten teilgenommen, an denen Helena nach besten Kräften festzuhalten versuchte, obwohl sie unregelmäßige Arbeitszeiten hatte. Bis dahin hatte Aapo fest vorgehabt, Zivildienst zu leisten, aber da auch Tiku Zivi gewesen war, hatte er es sich anders überlegt und erklärt, er werde doch zur Armee gehen und ein volles Jahr Wehrdienst leisten. Helena hatte zwischen zwei gleichermaßen kindisch handelnden Männern lavieren müssen. Immer öfter hatte Aapo spitze Bemerkungen darüber gemacht, dass Tiku nicht arbeitete, sondern in Kneipen saß und gelegentlich etwas in sein Notizbuch kritzelte, für seine Texte aber keinen Verlag fand.
«Der Junge hat Tiku angebrüllt, er führe auf meine Kosten ein Parasitenleben, worauf Tiku ihm vorwarf, er sei selbst nicht besser, da er sich ja nicht einmal einen Sommerjob suche. Sein Vater hat ihm all die Jahre reichlich Geld zugesteckt, insofern stimmt es schon, dass der Junge es leichter hatte als viele Gleichaltrige. Ich dachte, die Lage würde sich beruhigen, wenn die beiden sich aneinander gewöhnen. Aapo hat noch im letzten Herbst bei uns gewohnt, aber dann bekam er nach langem Warten endlich einen Platz im Studentenwohnheim in Otaniemi, wo er sich mit fünf anderen eine Wohneinheit teilt. Dass er die enge Bude unserer Dreizimmerwohnung vorgezogen hat, zeigt wohl, wie sehr er Tiku verabscheut.»
Helena sagte, im Nachhinein habe sie begriffen, dass sie Tikus Vorzüge auch deshalb hervorgekehrt und seine schlechten Seiten ignoriert hatte, weil sie keine der Mütter sein wollte, die sich ihr Leben von ihren Kindern diktieren lassen. Erst nach Aapos Auszug habe sie Tiku allmählich so gesehen, wie ihr Sohn und ihre Freundinnen es längst getan hatten. Nun erinnerte ich mich, dass Monika einmal zu mir über Tiku gesprochen hatte. Sie hatte sich darüber gewundert, dass eine Frau wie Helena auf einen solchen Schwindler hereinfiel. Ich hatte Helena zwar mehrmals im Chez Monique gesehen, konnte mich aber nicht an irgendwelche männlichen Begleiter erinnern.
«Hast du ein Foto von Tiku?»
«Irgendwo liegen ein paar CDs mit Fotos von unserer Orchideenexpedition nach Ösel im letzten Frühjahr. Es steht außen drauf, was sie enthalten. Hast du die Geduld, sie zu suchen? Ich schalte inzwischen meinen Laptop ein, dann kannst du sie dir ansehen.»
«Ja, gleich. Erzähl mir erst noch, warum ihr euch getrennt habt. Offenbar warst du die treibende Kraft?»
«Es gab viele Gründe. Das heißt, der fundamentale Grund war wohl, dass ich mich ausgenutzt fühlte. Tiku hat in den vier Jahren, die wir zusammen waren, tatsächlich von meinem Geld gelebt. Es war das klassische Muster: Wir sitzen im Restaurant, er will bezahlen, hat aber die Kreditkarte zu Hause vergessen. Ich schäme mich fast, zuzugeben, wie unglaublich naiv ich war, als wir den Kaufvertrag für die Dreizimmerwohnung unterschrieben haben. Wir haben die Wohnung nämlich auf beider Namen gekauft, finanziert haben wir sie mit dem Geld, das ich für meine vorige Wohnung bekommen hatte, und mit einem gemeinsamen Kredit. Du ahnst sicher, wie viel Tiku zur Tilgung beigetragen hat?»
Ich bog Daumen und Zeigefinger zur Null. Helena nickte. Tiku hatte das Gesetz auf seiner Seite: Die Hälfte der Wohnung gehörte ihm, weil sie gemeinsam gekauft worden war; die Tatsache, dass Helena die Kreditraten allein abbezahlt hatte, spielte keine Rolle. Tiku hatte sich durchaus bemüht, seine Gedichte zu veröffentlichen, und in den Begleitschreiben an die Verlage hatte er betont, er sei der Lebensgefährte der Abgeordneten Helena Lehmusvuo, der Orchideen liebenden, schönen rehäugigen Muse seiner Gedichte. Das werde die Frauenzeitschriften interessieren und somit für gute Verkaufszahlen sorgen. Dennoch hatte kein einziger Verlag angebissen, was den Schluss nahelegte, dass Tikus Gedichte abgrundtief schlecht waren.
«Tiku hat mich gedrängt, meine Verlagskontakte zu nutzen, dabei habe ich natürlich gar keinen Einfluss auf die Entscheidungen des Verlags, in dem ich mal ein paar politische Pamphlete veröffentlicht habe. An der Stelle habe ich dann die Grenze gezogen und ihm gesagt, er müsse sich selbst durchschlagen. Er hat geweint und gebettelt und sich beklagt, er werde immer falsch verstanden.»
Da Helena gar nicht mehr aufhörte zu reden, ließ ich mich vom Sofa auf den Boden gleiten und sah die diversen Stapel durch. Die CDs fanden sich bei der Tür zum Windfang. Helenas Musikgeschmack bot keine Überraschungen: Ultra Bra,
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