Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)
guter Junge. Möbelbauer. Hermann Bauer. Ja, ja, er stand kurz vorm Durchbruch, das spürte er. Rhythmisch haute er sich abwechselnd auf die linke und die rechte Wange. Und dann kam noch Herr Lampert vom Jüdischen Museum ins Spiel. Was hatte der noch gleich über die Emigration gesagt? Nur, wer es sich leisten konnte … man muß bedenken, die Nazis haben deren Vermögen eingezogen und die Geschäfte arisiert. Genau. Ganz genau. Doch der Faden drohte zu entfleuchen. Nein, bitte, bitte nicht. Weiter, Simon, komm, mein Kleiner, du hast’s drauf. Also noch einmal: Möbelbauer. Hermann Bauer. Sein Oberkörper wiegte nach vorne und wieder zurück. Nach vorne und wieder zurück. Und dann machte es Patsch. Das kam von seiner Hand, die gegen die Stirn klatschte.
Wie ein junger Hüpfer schwang er sich vom Bett, schmiß in hohem Bogen die Decke zur Seite und stürmte zum Lichtschalter. Mit zittrigen Händen durchforstete er das Tohuwabohu, das er gestern auf dem Boden hinterlassen hatte, nach dem Foto. Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen. Ha, ich nicht. Da, die Vergrößerung. Er stellte die Nachttischlampe daneben. Dann ging er mit der Nase ganz dicht heran. Natürlich, das war’s. Und was hatte der Herr vom Einwohnermeldeamt noch gesagt, als er die Liste der Hermann Bauers herunterrasselte? Ein Möbelspediteur aus dem Nordend war auch dabei. Deswegen also der Gedankensprung vom Saufen über Laster zur Spedition. Ganz schön wirr, diese Kette, kann man nicht anders sagen, lachte er. Aber egal, alle Wege führen nach Rom. Ein Abstecher über’s Nordend schadet da mal überhaupt nicht. Wie von der Tarantel gestochen fuhr er auf und suchte ein Lineal. In der hintersten Ecke seiner Schreibtischschublade wurde er fündig. Er legte es unter den Schriftzug mit dem Flicken. Na klar, ich Idiot, das hätte mir doch gleich auffallen müssen. Es waren zwei Buchstaben, die der Flicken abdeckte. Nicht einer, wie er zuerst kombiniert hatte. Oder ein Buchstabe und ein Bindestrich. Möbel-Bauer, und nicht Möbelbauer. Das kann ein gewaltiger Unterschied sein. Und wenn man dann noch wußte, der Herr links hieß mit Namen Bauer, dann war es doch nur logisch, daß der Laster, vor dem die drei Herren posierten, nur ihm gehören konnte. Möbel, das war der Schlüssel zu allem. Joshua Silbermann, Möbelhändler. Hermann Bauer, Möbelspediteur. Der Brief von H – Hermann Bauer natürlich – an Miriam, in dem er ihr von seinen gutgehenden Geschäften berichtete. Und dann noch die Enteignungswelle, mit der die Nazis die jüdische Bevölkerung anfangs unter immensen Druck gesetzt hatten. Und die den Anfang vom Ende einläutete. Simon, du bist das A und das O des detektivischen Spürsinns, lobte er sich überschwenglich. Dabei war es so schwer doch nicht. Am liebsten hätte er sofort Maria, Melibocus und Esther angerufen. Oder Laura geweckt. Mein Gott, erst vier Uhr dreißig. Und die Industrie- und Handelskammer öffnete bestimmt erst um neun ihre Pforten. Zum Glück war heute kein Wochenende oder ein Feiertag, das wäre ja nicht zum Aushalten gewesen. Die haben ihm dann natürlich zu sagen, und das war so sicher wie das Amen in der Kirche, daß das Möbelgeschäft Silbermann diesem Hermann Bauer in die Hände gefallen war. Für einen lächerlichen Betrag. Wie viele deutsche Bürger sich wohl damals ihre raffgierigen Hände schmutzig gemacht hatten, indem sie sich an diesem dreckigen Geschäft beteiligten? Das müssen ja Hunderttausende gewesen sein. Ohne jeglichen Skrupel. Hinter dem Geld her wie der Teufel hinter den Seelen. Ein Sittenverfall allerhöchster Potenz. Vom angeblichen Übermenschen zum Barbar, ein sehr kurzer Weg. Herr Schweitzer schämte sich in diesem Moment. Sein Moralkodex funktionierte nämlich.
Schön wäre es gewesen, sich jetzt noch mal schlafen legen zu können. Doch das schminkte er sich ab, dazu war er viel zu aufgewühlt. Der Besuch bei der IHK würde ein Quantensprung sein. Ganz sicher. Und wer weiß, was da noch alles ans Licht gespült wird? Ach, welch lauschige Nacht, dachte er, und öffnete das Fenster. Ein frischer Luftzug umwehte den heimlichen Helden der Detektiverei.
Hat der sie noch alle, wunderte sich ein Penner und setzte die Buddel ab. Eine Dame mit Perlenkette und einem Hut, der Queen Mum gut zu Gesicht gestanden hätte, dachte, Menschenskinder, ist der aber gut gelaunt. Wie kann man sich nur so gehen lassen, fragte sich wiederum ein eleganter Zweireiher, wahrscheinlich gehobene Position nicht
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