Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)
Silbermann sein kann, es sei denn, die Papiere, die Ihre Enkelin durch den Tod ihrer Schwester in die Finger bekam, und diejenigen, die mir die Jüdische Gemeinde in Frankfurt aushändigte, sind allesamt gefälscht. Aber das wären der Zufälle zu viele. Warten Sie, ich habe die wichtigsten dabei, ich hole sie schnell.“
Während Miriam Silbermann die Kopien überflog, schilderte Herr Schweitzer ihr, wie er Esther kennenlernte, wie sie und ihre Freundin Laura Roth sich einen Reim auf die Unterlagen zu machen versuchten, die sie von ihrer Reise nach Ogunquit mit nach Frankfurt gebracht, und wie sein Kumpel Melibocus vor vielen Jahren vergebens versucht hatte, diesem Claude Heidenbrück seine Verbrechen in der Nazi-Zeit nachzuweisen. Herr Schweitzer schloß mit den Worten: „Ich kann verstehen, wenn Sie nicht darüber reden wollen, allerdings sollten Sie wissen, daß die Wahrheit nicht schlimmer sein kann als das, was die Papiere uns sagen. Und wenn es sich tatsächlich so verhält, daß Ihr jetziger Mann Hermann Bauer mitverantwortlich für Joshuas Deportation und Tod ist, dann habe ich volles Verständnis, wenn Sie nicht darüber reden wollen. Es wäre Ihre Privatangelegenheit, die nur Sie etwas angeht.“
„Ich weiß, was Sie denken müssen.“ Frau Silbermann wedelte mit einem Blatt Papier. „Diesen Brief hat Rahel mir damals, als sie in Tel Aviv war, gestohlen.“
„Ich habe mich schon gefragt, warum er in ihrem Besitz war, schließlich hat sie ja Deutschland vor Ihnen verlassen.“
„Ich habe es erst zwei Wochen später gemerkt, da war Rahel schon längst wieder in Amerika drüben.“
Herr Schweitzer stellte die Frage, die er stellen mußte: „Und dieser H, der Unterzeichner des Liebesbriefes, ist Hermann Bauer?“
Frau Silbermanns Blick senkte sich. „Ja, ich hatte – ich habe, muß man wohl immer noch sagen – eine außereheliche Beziehung.“
Und wie gehen Sie damit um, daß sich Hermann Bauer erst Joshua Silbermanns Möbelgeschäft unter den Nagel gerissen und ihn dann verraten hat, so daß er im KZ sterben mußte? Diese Frage lag Herrn Schweitzer auf der Zunge. Er war sich aber auch im klaren darüber, daß er damit alles gefährden konnte. Er ahnte, welche Kämpfe gerade in Miriam Silbermanns Innerem tobten. Ihm kam eine Idee, wie er diese Klippe umschiffen konnte: „Die KZ-Nummer auf Herrn Bauers Arm, die ist doch gefälscht, oder?“
„Ja, es war meine Idee. Sie können sich keine Vorstellung davon machen, wie es nach dem Einmarsch der Amerikaner in Frankfurt herging. Einige versuchten, mit allen Mitteln ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen, andere kämpften ums nackte Überleben. Lebensmittel waren damals knapp. Und dann gab es auch noch diejenigen, die psychisch zusammengebrochen waren. Sie irrten in den Trümmern herum und suchten nach Angehörigen. Nachts hörte man ihre Schreie. Es waren viele. Noch heute höre ich sie manchmal im Schlaf. Und wir hatten Angst, weil mein Mann gezwungen wurde, sein Möbelgeschäft zu veräußern, und Hermann nach außen als der neue Inhaber auftrat.“
„Nach außen?“
„Genau das ist der Punkt. Hermann war ein Freund der Familie, der einzige, sozusagen. Joshua war nicht sehr kommunikativ, immer in seine Bücher vergraben. Die Ehe war ein Fehler. Das ist mir schnell klar geworden.“ Frau Silbermann sah zu Herrn Schweitzer, wie dieser wohl auf dieses Eingeständnis reagierte, doch seine Augen verrieten nichts. „So kam dann eins zum anderen. Erst verliebten wir uns, später bot Hermann von sich aus an, Joshuas Möbelgeschäft zu übernehmen, bis sich die Lage wieder normalisierte. Wenn die Nazis dann weg wären, bekämen wir es zurück. Der Plan hat zunächst auch gut funktioniert. Hermann hatte ja mit seinem Fuhrunternehmen genug zu tun, und Joshua führte weiterhin die Bücher. Der Laden lief auch ohne ihn. Es waren unsere beiden Verkäufer, die weiterhin Geld in die Kasse brachten. Hermann brauchte sich nur selten blicken lassen und ab und zu seine Unterschrift zu leisten. Kranz und Petersen hießen sie, die Verkäufer. Es waren gute Menschen. Nicht alle waren schlecht. Sie wußten, was vor sich ging. Trotzdem haben sie stillgehalten. Kranz ist vor zwanzig Jahren gestorben. Ein paar Mal hat er uns hier besucht. Von Petersen weiß ich nichts. Er muß längst tot sein. Schon damals war er über fünfzig. Joshua wußte all die Jahre nichts von meinem Verhältnis zu Hermann.“
„War das nicht schwer für Sie?“
„Damals vielleicht. Ich
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