Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)
war, was Politik anging, sehr naiv. Joshua auch. Und als es dann so richtig losging mit der Judenverfolgung, da war eine geheime Liebesbeziehung nur noch ein Problem unter vielen. Wir hätten damals mit Rahel gehen sollen, einmal habe ich es Joshua beim Abendessen sogar vorgeschlagen. Aber ich muß gestehen, ich war heilfroh, als er meinte, wir sollten noch ein wenig warten, die Zeichen stünden zwar schlecht, doch sicherlich würden sich die Zeiten auch wieder ändern. Eine fatale Fehleinschätzung, wie sich bald herausstellen sollte. Ich hatte noch Glück, ich bin Halbjüdin. Und bei uns ging die Sache erst später los. Und als es soweit war, hat mich ein Freund von Hermann in seinem Keller in Eschersheim versteckt. Im letzten Kriegswinter hatte ich riesiges Glück, weil die Nidda Hochwasser führte und den Keller überspülte. Hermann richtete seine Fahrten immer so ein, daß er mich, ohne Aufsehen zu erregen, besuchen konnte. Aber da war Joshua schon längst deportiert worden. Jahrelang wußten wir nicht, was mit ihm geschehen war. Erst nach Kriegsende hat Rahel es dann herausgefunden. Es wäre meine Aufgabe gewesen, nach Joshua zu forschen. Das hat sie mir immer wieder vorgeworfen. In Telefongesprächen, in Briefen. Und das stimmt auch, es wäre meine Aufgabe gewesen. Aber es ging nicht. Hermann hatte ja Joshuas Platz eingenommen, und alles wäre aufgeflogen.“
„Das verstehe ich nicht. Sie hätten den Amerikanern doch alles erklären können, und keinem wäre etwas passiert.“
„Das sagen Sie heute. Doch im Sommer 1945 wußte noch niemand so genau, wie weit die Amerikaner gehen würden. Es waren nicht wenige, die einen Rachefeldzug befürchteten, schließlich hatten auch sie hohe Verluste zu verzeichnen gehabt. Daß es dann anders kam, war gut. Doch Hermann und ich waren da bereits in Israel und mußten uns den neuen Aufgaben stellen. Es war übrigens meine Idee gewesen, Hermann als meinen Mann auszugeben. So konnte er vor den Amis flüchten und ohne Probleme in Israel einreisen.“
„Aber Herr Bauer hatte doch gar keine Papiere, die ihn als ihren Mann ausgaben. Wie konnte er da so ohne weiteres einreisen.“
Aus der Kehle der alten Dame kroch ein kurzes, spöttisches Lachen. „Papiere? Was glauben Sie, wie viele Menschen damals ohne Papiere waren. Verbrannt, verschüttet, gestohlen und was weiß ich nicht alles. Ersatzpapiere waren schnell besorgt, notfalls auf dem Schwarzmarkt.“
„Und deswegen ließ er sich eine KZ-Nummer auf den Arm tätowieren? Damit man glaubte, er sei als Jude im Lager gewesen?“
„Ja, sein Freund aus Eschersheim hat das veranlaßt. Zum Schluß war der in der NSDAP ein hohes Tier und hatte auch nach dem Krieg noch seine Beziehungen. Als Gegenleistung habe ich ihm dann bestätigt, daß er mir das Leben gerettet hat, weil er mich unter Lebensgefahr in seinem Keller versteckt hatte. Das stimmte ja auch, ich habe nicht gelogen. Daraufhin wurde er entnazifiziert.“ Frau Silbermann öffnete ihre Handtasche und reichte ihm ein Foto. „Peter Söhnle, so hieß der gute Mann.“
Herr Schweitzer betrachtete eingehend die Fotografie. Sie zeigte einen etwas schüchtern in die Kamera lächelnden soignierten Mann, der im Anzug an einem Strand stand, und dessen obere Gesichtshälfte vom Schatten bedeckt wurde, den sein Hut warf.
„Das Foto ist bei einem seiner Besuche hier in Tel Aviv entstanden“, glaubte Frau Silbermann, eine Erklärung schuldig zu sein.
Er gab ihr das Foto zurück und berührte dabei versehentlich ihre Hand. Keinem von beiden war es unangenehm. Etwas unbeholfen lächelte Frau Silbermann und errötete. Obwohl sie ihm das meiste erzählt zu haben schien, und Herr Schweitzer ihren Ausführungen soweit folgen konnte, war er sich sicher, daß das Puzzle noch lange nicht vollständig war. Natürlich, Claude Heidenbrück wurde noch mit keinem Wort erwähnt. Aber da fehlte noch etwas. Etwas, das er einfach nicht greifen konnte, und das ihn unzufrieden machte.
Aufs Geratewohl und von einem Gefühl geleitet, sagte Herr Schweitzer nach einer Weile: „Dieser Peter Söhnle …“
„Sie sind ganz schön schlau, Herr Schweitzer.“
Das ging natürlich runter wie Öl. Der Haken war allerdings, daß er nicht wußte, warum er schlau sein sollte. So entschloß er sich zu warten. Da aber Frau Silbermann entgegen seinen Erwartungen nicht weitersprach, füllte er die Zeit mit Denken. Und diese Zeit wurde lang und länger. Manchmal glaubte er schon, die Frage um Peter Söhnle
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