Die Leiche im rosa Nachthemd
hatte sie sich auf Grund meines
Telefonanrufes entschlossen, aufzustehen und sich anzuziehen. Ich hätte wetten
mögen, daß sie schon im Bett gelegen hatte, als ich anrief.
»Bitte setzen Sie sich doch,
Mr. Lam«, sagte sie.
Wir alle setzten uns. Alfmont
machte einen nervösen Eindruck.
»Sie sind Detektiv, wie ich
höre«, begann Mrs. Alfmont.
»Ganz recht.«
Ihre Stimme war dunkel und
melodisch und ohne eine Spur von Erregung. Bei Dr. Alfmont hatte man immer den
Eindruck, daß er jedes Wort auf die Goldwaage legte, um sich nur ja nicht in
einem unbedachten Augenblick zu verraten. Sie strahlte die Gelassenheit eines
Menschen aus, der nie versucht hat, sich etwas vorzumachen.
»Gib mir eine Zigarette,
Charles«, sagte sie zu ihrem Mann, und zu mir gewandt: »Sie brauchen kein Blatt
vor den Mund zu nehmen, Mr. Lam. Ich weiß Bescheid.«
»Gut. Dann können wir ja offen
reden.«
Dr. Alfmont gab ihr eine
Zigarette und bot mir auch eine an, die ich dankend annahm. Dann wandte er sich
an seine Frau:
»Mrs. Cool war bei mir in der
Praxis, Liebling. Mr. Lam kam nicht mit ihr zusammen. Er kam...«
»Ich kam auf eigene Faust«,
unterbrach ich.
Dr. Alfmont nickte.
Seine Frau hatte mich ruhig und
ernsthaft gemustert. Jetzt sagte sie: »Erzählen Sie, Mr. Lam.«
»Ich nehme an«, fuhr ich fort,
»daß Bertha Cool die Unterhaltung im wesentlichen allein bestritten hat.«
Er nickte.
Ich sagte:, »Bertha hat Ihnen
die Lage in den schwärzesten Farben gemalt, damit Sie noch ein bißchen mehr
Geld herausrücken, ja?«
Er überlegte. »Darauf lief es
ungefähr hinaus«, räumte er schließlich ein.
»Nun, das ist ihre Sache. Wenn
sie gute Bedingungen ausgehandelt hat, um so besser. Meine Sache ist es, Sie
aus Ihrer unangenehmen Lage zu befreien. Das kann ich nur, wenn Sie jetzt offen
mit mir reden.«
»Was wollen Sie wissen?«
»Was Sie im schlimmsten Fall zu
erwarten haben. Und was ich im schlimmsten Fall zu erwarten habe.«
Er streifte mit einem raschen
Seitenblick seine Frau.
»Ich bin Vivian Carter«, sagte
sie. »Kinder haben wir nicht. Wir sind nicht rechtmäßig verheiratet, obgleich
vor etwa zehn Jahren in Mexiko eine Trauungszeremonie vollzogen worden ist.«
»Erzählen Sie mir doch mal
Genaueres über den Scheidungsprozeß«, sagte ich zu Alfmont.
»Was wollen Sie da wissen?«
»Alles.«
Er legte die Fingerspitzen
zusammen. »Es begann damit, daß meine erste Frau sich in der Nachkriegszeit von
dem hektischen Wirbel mitreißen ließ, der weite Kreise der Gesellschaft
erfaßte. Die freigesetzten Emotionen schwemmten alle Konventionen hinweg. Es...«
Ich stoppte ihn mit einer
Handbewegung. »Ich glaube«, sagte ich zu seiner Frau, »das sollten Sie lieber
übernehmen.«
Sie nahm den Faden der
Erzählung ganz unbefangen auf. »Ich war Dr. Lintigs Sprechstundenhilfe und
verliebte mich in ihn. Er wußte es zunächst noch nicht, und ich war fest
entschlossen, daß er es nie erfahren sollte. Ich wollte Amelia — das heißt Mrs.
Lintig — die Stellung der Ehefrau und die Zuneigung ihres Mannes ja nicht
stehlen. Ich wollte nur in seiner Nähe sein. Ich hielt mich sehr zurück.«
Dr. Alfmont nickte
nachdrücklich.
»Ich wollte ihm dienen und
helfen. Damals war ich sehr jung und sehr dumm. Heute weiß ich natürlich, daß
so etwas nie gutgeht. Aber damals, vor einundzwanzig Jahren, wußte ich es
nicht. Oakview wuchs. Viel Geld war im Umlauf. Es war, wie Charles schon gesagt
hat, eine Periode hektischer Umwälzungen, und die Stadt befand sich in einem
enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Bevölkerung wuchs. Amelia stürzte sich
mit Begeisterung in das hektische Leben. Sie fing an zu trinken und gehörte
bald zu einer Clique, die man als Jet Set auf Provinzebene bezeichnen könnte.
Die Moralbegriffe hatten sich völlig gewandelt. Es wurde getrunken, geliebt und
krakeelt. Charles machte sich nichts aus diesem Betrieb. Für Amelia gab es gar
nichts Schöneres.
Dann begann sie, sich mit
anderen Männern einzulassen. Charles wußte das nicht. Aber seine Geduld war
ohnehin am Ende. Er wollte eine Scheidung. Sie erklärte sich damit
einverstanden und schlug als Scheidungsgrand seelische Grausamkeit vor. Er
reichte die Scheidung ein. Aber dann schoß Amelia quer. Fairneß war nie ihre
starke Seite. Sie wartete, bis ich nach San Franzisko gefahren war, um etwas
für den Doktor zu erledigen, und reichte dann eine Gegenklage ein, in der sie
mich als Mitschuldige benannte. Dadurch, daß sie ihm zuvorkam, hoffte
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