Die Leiche im rosa Nachthemd
schloß ich Berthas Koffer, zurrte die Riemen fest,
lud ihn auf den Handkarren und rollte ihn zum Lift. Eine halbe Stunde später
saßen wir samt Koffer in einem Taxi und rollten zum Bahnhof. Dort wechselten
wir das Taxi, um etwaige Verfolger abzuschütteln, und fuhren zu Berthas
Wohnung.
Der Liftboy beschaffte uns
einen Handkarren, und wir fuhren mit unserer Beute zu Bertha hinauf. Das
Kofferschloß ließ sich nicht knacken, aber es dauerte nur ein paar Minuten, bis
ich die Schraubenköpfe abgesägt hatte, die es hielten.
Wir fanden, was wir suchten,
ehe der Koffer zur Hälfte geleert war: ein Bündel mit Papieren und Dokumenten,
mit einer dicken Schnur umwickelt.
Ich band die Schnur auf, und
wir sahen die Papiere zusammen durch.
Da war der Trauschein der
Lintigs, da waren Briefe, die Dr. Lintig während der Verlobungszeit von der
Universität aus geschrieben hatte, Zeitungsausschnitte und ein Hochzeitsfoto
von Dr. Lintig und Amelia.
Dr. Lintig hatte sich in den
letzten zwanzig Jahren erstaunlich wenig verändert. Das lag wohl daran, daß er
schon damals ein ernsthafter junger Mann gewesen war, der immer zehn Jahre
älter gewirkt hatte, als er war.
Ich betrachtete das Gesicht der
Frau im Hochzeitskleid. Bertha sprach die Frage aus, die im Raum hing: »Ist das
die Frau aus dem Palace in Oakview?«
»Nein«, sagte ich.
»Na also, Donald! Wir haben
gewonnen.«
»Du vergißt die Kleinigkeit der
Mordanklage«, meinte ich.
Wir wühlten uns weiter durch
die Dokumente. Ich stieß auf einige mit spanischem Text beschriebene Blätter.
»Was ist denn das?« fragte Bertha.
»Vielleicht hängt eine
Übersetzung dran«, meinte ich und drehte die Blätter um. »Sieht, aus wie eine
mexikanische Scheidung.«
Das war es denn auch.
»Ist die gültig?« fragte
Bertha.
»Eigentlich nicht. Eine Weile
gab es in einigen mexikanischen Staaten die Regelung, daß ein eintägiger
Aufenthalt für eine Scheidung genügte. Sogar Fernscheidungen waren zulässig.
Eine ganze Meute von Anwälten lebte nur noch von mexikanischen Scheidungen. Der
Oberste Gerichtshof erkannte sie nicht an, aber in Kalifornien waren so viele
Trauungen von Partnern vollzogen worden, die eine Scheidung auf mexikanisch
hinter sich hatten, daß die Behörden einfach beide Augen zudrückten, wenn in
diesem Zusammenhang das Wort Bigamie laut wurde. Allgemein betrachtet man diese
Scheidung als eine moralische Rechtfertigung, aber etwas außerhalb der
Legalität.«
»Weshalb hat sie das wohl
getan?«
»Sie wollte wieder heiraten,
aber Dr. Lintig sollte nichts von dieser Heirat erfahren, weil sie ihn weiter
unter Druck setzen wollte.«
Ich ging zum Telefon, wählte
die Telegrammaufnahme und diktierte ein Nachttelegramm an das Standesamt von
Sacramento, Kalifornien. Darin erbat ich Auskunft darüber, ob Unterlagen über
eine Eheschließung von Amelia Sellar sowie gegebenenfalls ein Totenschein unter
dem neuen Namen vorlagen.
Bertha Cool strahlte mich an.
»Die Sache kommt ins Rollen, Kleiner«, meinte sie.
»Du hast doch sicher eine Liste
von Mitarbeitern, die du kurzfristig einsetzen kannst.«
»Allerdings.«
»Gut. Schnapp dir zwei, gib
ihnen eine Beschreibung von John Harbet und schick sie zum Polizeipräsidium.
Ich möchte wissen, wohin Harbet von dort aus geht.«
»Meinst du nicht, daß er wieder
nach Santa Carlotta fährt?«
»Das glaube ich nicht. Jetzt
nicht mehr.«
Bertha Cool ging zu ihrem
Schreibtisch und griff nach einem ledergebundenen Notizbuch. »Es kann eine
Stunde dauern, bis sie die Arbeit aufnehmen können.«
»Das ist zu lange. Notfalls
mußt du dir welche bei der Konkurrenz borgen. In zwanzig Minuten müssen sie auf
ihrem Posten sein.«
Bertha Cool hängte sich ans
Telefon. Ich widmete mich wieder dem Koffer.
Als Bertha fertig war, hatte
ich auch den Rest gefunden: Kostüme und einen Stoß Revuepostkarten, die ein
spärlich bekleidetes Mädchen zeigten und die Aufschrift trugen: »Herzlichst,
Flo.«
Ich betrachtete mir die Fotos
genauer. »Wenn man zwanzig Jahre und vierzig Pfund dazurechnet, ist das genau
die Frau, die mir in Oakview als Mrs. James C. Lintig gegenübergestanden hat.«
Bertha Cool sagte nichts. Sie
ging in die Küche und brachte eine Flasche Kognak. Auf dem Etikett stand die
Jahreszahl 1875.
11
Bertha Cool hatte gerade den
dritten Kognak innerhalb einer Stunde konsumiert, als das Telefon schrillte.
Sie sah auf die Uhr. »Das nenne
ich prompt. Der erste Bericht über John Harbet. Ja, hier ist
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