Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)
warf ihr einen abschätzigen Blick zu. «Und um dich als Hure zu verdingen, dazu bist du zu stolz. Das wusste ich.»
Angelica richtete sich instinktiv auf.
«Damit blieb nur die Arbeit in irgendeinem Laden. Und ich dachte nicht, dass du dich dafür hergibst. Das wäre einfach ein zu öffentlicher Ort für dich gewesen. Also bist du Zofe geworden, hab ich recht?»
Sein Gesichtsausdruck war so ungemein selbstgefällig, dass sie nicht antwortete.
«Aber dich zu finden stellte schon ein gewisses Problem dar. Ich war schließlich gerade dabei, mein Geschäft zu etablieren und hatte viele andere Dinge zu tun. Wie du selbst gerade sagtest, es gibt in London viele Frauen, die bereit sind, sich zu verkaufen. Aber mein Unternehmen ist auf ganz bestimmte Vorlieben spezialisiert.»
Halt den Mund! Am liebsten hätte sie ihm das tausendmal entgegengebrüllt. Sie wollte ihn erwürgen, ihm das liederliche Leben aus dem Körper pressen und seine Seele zur Hölle jagen. Aber der Gedanke an seine überlegene Stärke – ganz zu schweigen von seinen Untergebenen in diesem Haus – ließ diese verrückte Idee sofort wieder in den Hintergrund treten.
«Ich zog auch in Erwägung, dass du vielleicht die Geliebte irgendeines reichen Mannes geworden wärst. Vielleicht sogar die Frau von jemandem, der keine Frage stellt. Aber wie ich sehe, ist es dazu nicht gekommen.»
Sie schüttelte den Kopf. Dabei war sie nicht mal überrascht, dass er sie in den vergangenen Jahren mit derartiger Besessenheit gesucht hatte. «Und wie hast du herausgefunden, dass ich für die Congreves arbeite?»
«Der alte Knabe und ich gehören demselben Club an. Eines Abends war er leicht betrunken und gab mit einer Liste in der Hand mit seinen Eroberungen an. Dabei beschrieb er zufällig eine junge Schönheit. Eine neue Zofe, die er für seine Frau eingestellt hatte. Ich dachte mir gleich, dass es sich dabei um dich handeln könnte. Und als ich dann auf die Liste schaute, stand da tatsächlich dein Name. Angelica Harrow. Dein Name war sogar mit einem Stern gekennzeichnet.»
«Wieso?»
«Er erklärte mir, das hieße, du wärst als Nächste dran.»
«Ich bin ihm entwischt», erwiderte Angelica. «Seine Frau hatte da so ihre Vermutungen, aber damit lag sie völlig falsch.»
«Ich verstehe», sagte Victor fröhlich. «Gefällt mir, wie geradeheraus du das sagst. Das klingt, als wolltest du nicht länger so tun, als wärst du empört.»
Er sah sie durch zusammengekniffene Augen an, und Angelica dämmerte langsam, dass es wohl am besten wäre, sich vorerst auf sein Spiel einzulassen.
«Du musst doch mittlerweile wissen, wie die Welt sich dreht. Wenn das Glück nicht gerade auf ihrer Seite ist, können Frauen ihr Schicksal nicht frei wählen. Und Glück hast du ja nun wirklich nicht allzu viel. Was meinst du? Sollten wir bezüglich deiner, äh, Beschäftigung nicht langsam mal zu irgendeiner Einigung kommen?»
Sie zögerte, denn es wollte ihr einfach nicht gelingen, rechtzeitig eine Lüge zu formulieren.
«Du willst doch nicht etwa endgültig als Zofe oder schmutziges Straßenmädchen enden, oder? Als mein Diener dich in den Leinensack steckte und durch den Hinterausgang dieses riesigen Hauses schleppte, hat er kein Geld bei dir gefunden. Und mit einer Frau ohne Familie kann es sehr schnell bergab gehen.» Er grinste erneut – diesmal noch breiter. «Hab ich nicht recht, Angelica?»
Die junge Frau nickte und sank auf das Bett. Sie rang die Hände, bis es wehtat, und vermied jeden Blick in Richtung Victor. Doch in ihrem Schmerz sah sie ohnehin nichts mehr.
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Kapitel Vier
Semjon kehrte in großer Eile in das Haus des Rudels zurück und fragte sich auf dem Weg, ob er seinen Verwandten von seiner Sorge um die verschwundene Frau berichten sollte. Er entschied sich dagegen.
Die älteren Angehörigen des Klans würden nur auf die Notwendigkeit von Besonnenheit und Diskretion pochen – so, wie sie es immer taten. Einige der jüngeren würden sich über seine Ritterlichkeit gegenüber einer Zofe vielleicht sogar lustig machen, und er würde sich ihnen entgegenstellen müssen, um seinen Status zu bewahren.
Was seine Blutsbrüder anging, so war Kyrill weit weg, und Marko, der mittlere der Taruskin-Brüder, hatte sicher kein Interesse an den Komplikationen von Semjons Liebesaffären. Natalja hingegen wäre sicher gespannt auf weitere Ausführungen. Schließlich hatte sie ja schon den Anfang der Geschichte gehört. Sie würde ihn wohl erst
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