Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)
Misshandlung und die Drohungen durch ihren Stiefbruder, schüttelte sie nur den Kopf.
Sie konnte und wollte bei Semjon nicht ein Wort über die hässliche Wahrheit verlieren. Ja, sie war seiner Aufforderung, ihn zu begleiten, nachgekommen und würde sicher auch bei ihm bleiben, bis sie wieder bei Kräften war. Sie würde sogar mit ihm schlafen, wenn er es denn wünschte. Das war sie ihm einfach schuldig.
Doch nach einer gewissen, nicht allzu langen Zeit würde sie sich wieder allein auf den Weg machen. Und zwar in ein neues Land, wo niemand sie finden würde. Amerika. Oder auch Kanada. Oder auf die andere Seite des Erdballs nach Australien. Angelica fühlte sich ebenso wertlos wie eine Strafgefangene und war bereit, sich selbst das Urteil eines permanenten Exils aufzuerlegen, um ihrer Vergangenheit zu entfliehen. Ihr war alles egal. Aber dieser galante Mann, ihr Retter, verdiente etwas Besseres.
Sie war einfach zu befleckt für ihn.
Zwei Tage später …
Semjon hatte Angelica in einem hübschen, kleinen Häuschen in Mayfair untergebracht. Diese, Mews genannten Gebäude standen hinter den großen Prachtbauten von Mayfair und waren von der Hauptstraße nicht einzusehen. Das Haus, in dem sie untergekommen waren, gehörte seiner Auskunft nach einem Freund von ihm. Es gab keine Dienstboten, aber die brauchte sie auch nicht. Schließlich war sie selbst einst einer von ihnen gewesen.
Da Angelica sich mit Erzählungen über ihre Person sehr zurückgehalten hatte, erkundigte sie sich auch nicht, wo Semjon tatsächlich wohnte. Sie stellte keine Fragen über seine Familie oder seinen fremdländischen Namen, erinnerte sich aber dunkel an irgendwelche Klatschgeschichten, dass er zwei Brüder hatte, die einst Lebemänner gewesen, jetzt aber verheiratet waren.
So sei es.
Sie und Semjon würden sich jetzt selbst eine Weile der Häuslichkeit hingeben. Er war die Freundlichkeit selbst, und das sonnendurchflutete, kleine Haus war ein wunderbarer Rückzugsort. Semjon hatte sogar Konten bei diversen Geschäften, einem Fleischer und einem Lebensmittelhändler, für sie eingerichtet. Angelica hatte eine Liste mit den Dingen angelegt, die sie brauchte, und sie waren umgehend ins Haus geliefert worden. Abgesehen davon, hatte sie sich damit beschäftigt, Ordnung zu schaffen und die Topfpflanzen zu gießen, die auf den tiefen Fensterbänken auf die Ankunft des herannahenden Frühlings warteten. Ja, sie hatte sich sogar mit einer streunenden Katze angefreundet, die ihr eines Tages über den Weg gelaufen war.
Du und ich, wir sind aus demselben Holz geschnitzt , hatte sie gedacht, als sie das scheue, kleine Tier zum ersten Mal streichelte.
Bei alledem gab sie sich größte Mühe, nicht an Victor zu denken. Sollte er sie finden – sie fragte sich, aus welchem Grund er sie wohl überhaupt suchen sollte –, würde Semjon sie schon irgendwie verteidigen.
War er wirklich solch ein Lebemann, wie einige Leute behaupteten? Oder übertrieb er es mit seiner Galanterie wirklich allzu sehr, wie andere vielleicht meinten?
Angelica empfand das nicht so. Sie hatte das Gefühl, zum ersten Mal seit Jahren wieder frei atmen zu können, und dafür musste sie ihm überaus dankbar sein.
Sie starrte auf das Kohlefeuer in dem kleinen Küchenofen und stocherte darin herum, um es noch heller lodern zu lassen. Es sollte ein leichtes Mittagessen für sie beide geben. Brot und Chutney hatte sie zwar fertig gekauft, aber die Koteletts briet sie selbst.
Angelica richtete sich auf, hüstelte etwas und schaute auf die Uhr auf dem Kaminsims im anderen Raum. Alles, was sie brauchte, war in greifbarer Nähe. Das Haus war einfach perfekt für sie, auch wenn Semjon für die Zimmer fast zu groß gewachsen war. Besonders für die beiden Räume in der oberen Etage.
Er hatte ihr sogar mitgeteilt, dass alles, was er für das Haus angeschafft hatte, ganz ihr gehörte. Für den Moment zumindest, dachte sie. Nicht für immer.
Ein weiterer Wintertag neigte sich dem Ende zu. Nachdenklich, ja fast verträumt saß sie mit der Katze in ihrem Schoß da und wartete auf ihn.
Er hatte den Schlüssel zum Haus. Sie musste also nicht aufspringen und die Eingangstür öffnen, wenn er irgendwann kam. Nach etwa einer halben Stunde hörte sie, wie er ihren Namen rief, und kurz darauf ein Klopfen. Die dösende Katze sprang von ihrem Schoß und rollte sich andernorts zusammen, sodass Angelica doch aufstand und zur Tür lief. Sie öffnete sie genau in dem Moment, als er den Schlüssel
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