Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)
das Sofa, wo das Tier zunächst die Kissen mit seinen Pfoten knetete, bevor es sich schließlich zum Schlafen zusammenrollte.
Es gab im Haus nicht recht etwas zu tun. Und auch wenn Semjon ein überaus aufmerksamer Mensch war, hatte er doch keine Bücher gekauft und auch sonst für keinerlei Ablenkung gesorgt.
In der Tat war bisher allerdings auch wenig Zeit gewesen, sich um diese kleinen Bequemlichkeiten zu kümmern. Und Angelica hatte das Gefühl, kein Recht zu haben, sich über ihr Eingesperrtsein zu beschweren.
Sie streichelte die Katze und wünschte dabei, sie hätte ebenfalls die Freiheit, zu kommen und zu gehen, wie es ihr beliebte. Es würde sicher nicht mehr lange dauern, bis Semjon genug von ihr und diesem Liebesnest hatte. Und doch war es äußerst angenehm, die Herrin eines Hauses zu sein und gleichzeitig ihn als ihren Herrn zu haben.
Immerhin hatte er daran gedacht, ihr Kleider und Unterzeug zur Verfügung zu stellen. Die Sachen waren zwar nicht maßgeschneidert, passten aber alle perfekt und waren auch ganz neu. Sein Geschmack schien zu tief ausgeschnittenen und eher transparenten Dingen zu neigen, doch als der riesige Koffer mit Kleidung eingetroffen war, hatten sich darin auch ein oder zwei Schultertücher und ein dicker Umhang befunden. Der Koffer war so vollgestopft gewesen, dass sie bisher allerdings noch keine Zeit gefunden hatte, den gesamten Inhalt einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.
Angelica hatte keine Ahnung, was Semjon für sie beide plante – wenn er denn überhaupt etwas plante. Aber sie fühlte sich dennoch sicher in dem kleinen Häuschen, denn er hatte ihr endlich verraten, dass einige Wachmänner auf sie aufpassten. Die Männer zeigten sich allerdings nie, und Angelica hatte bisher noch nicht einmal einen kurzen Blick von ihnen erhaschen können.
Nun gut. Wenn sie schon kein Buch zum Lesen oder kein Klavier zum Musizieren hatte, dann konnte sie ebenso gut das Kleid und das Unterkleid flicken, die sie so voller Wollust zerrissen hatte. Die Erinnerung an diesen leidenschaftlichen Moment heiterte sie sofort wieder auf. Sie hatte beide Kleidungsstücke in den Kleiderschrank gehängt, die Knöpfe in einem kleinen Täschchen aufbewahrt und ihn gebeten, Nadel und Faden ins Haus liefern zu lassen.
Wie so vieles andere im Haus hatte irgendjemand ein Nähkästchen auf die Türschwelle gelegt, das sie gestern gefunden und ebenfalls in den Kleiderschrank gelegt hatte.
Angelica ging nach oben, legte alle Utensilien vor ein besonders sonniges Fenster und zog sich einen Stuhl heran. Den Mund voller Nadeln, nähte sie summend wohl mindestens eine Stunde lang vor sich hin und war überaus froh, etwas zu tun zu haben, das die Zeit schneller vergehen ließ und sie ablenkte.
In den düstersten Ecken ihres Hirns lauerten allerdings schreckliche Erinnerungen an ihren Stiefbruder und ihr grauenhaftes Eingesperrtsein. Auch wenn sie nur eine Sekunde an ihn zurückdachte, begannen ihre Hände zu zittern. Sie stach sich prompt mit einer Nadel in den Daumen, sodass sie ihr Nähzeug beiseitelegen und etwas Blut von ihrem Finger lecken musste. Schon der kleinste Tropfen davon würde ausreichen, um das helle Kleid und das Unterkleid zu beflecken.
Die kleine Wunde heilte zwar recht schnell wieder zu, aber zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits das Interesse an ihrem Tun verloren. Und so kehrte ihre Unruhe zurück und legte sich wie ein dunkler Schatten auf ihre Seele.
Angelica hängte die halbreparierten Stücke zurück in den Schrank und unterzog den Koffer mit den Kleidern einer erneuten Untersuchung. Semjon hatte ihr angeraten, das Haus nicht zu verlassen, und sie hatte sich einverstanden erklärt, ihr Gesicht nicht außerhalb seiner Mauern zu zeigen.
Ein Schleier würde ihr helfen, dieses etwas voreilig gegebene Versprechen zu halten. Ob derjenige, der den Koffer mit Kleidungsstücken gefüllt hatte, auch an dieses Accessoire gedacht hatte? Sie zog ihn zu sich heran, öffnete den Deckel, fing an, darin herumzuwühlen, und legte die herausgenommenen Stücke in Haufen zusammen.
Angelica fand ein dünnes, sehr edles Schultertuch aus feiner grauer Wolle, das ihr zum Zweck der Verschleierung sicher dienlich sein könnte. Sie stand auf, wickelte es um ihren Kopf und zog den verbleibenden Stoff dann über ihr Gesicht. Es war recht leicht, durch das hauchdünne Material etwas von der Umgebung zu erkennen. Sie stellte sich vor den Spiegel, zuckte bei dem Anblick, der sich ihr bot, allerdings leicht
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