Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)
Er machte sich zwar Sorgen, aber es gab nichts, was ich tun oder sagen konnte, bevor ich nicht mehr herausgefunden oder dich gefunden hatte.»
«Und wie hast du mich gefunden?»
Semjon fuhr sich mit der Hand durchs Haar und schüttelte den Kopf, als hätte er Mühe, die richtigen Worte zu finden.
«Das ist schwer zu erklären. In meiner Manteltasche war ein Stück Papier, auf das du meinen Namen geschrieben hattest. Als ich es in der Hand hielt, begann ich plötzlich etwas zu spüren.»
«Ich verstehe», sagte sie. «Ich meine, nein, eigentlich verstehe ich überhaupt nicht. Was meinst du damit?»
Er sah sie mit besorgtem Blick an. «Man könnte wohl sagen, dass ich so etwas wie, äh, instinktive Fähigkeiten habe.»
Angelicas Augen nahmen einen argwöhnischen Ausdruck an. «Wirklich? Aber du scheinst mir das Abbild eines englischen Gentleman zu sein. Obwohl du irgendwie auch etwas Wildes an dir hast. Aber was genau dahintersteckt, vermag ich nicht zu sagen.»
«Äh. Ich jage gern – wie jeder Gentleman. Vielleicht ist es das.»
«Diese Erklärung muss für den Moment reichen. Fahr doch bitte fort.»
«Als ich die Congreves verließ – sie schnarchten beide im Gleichklang –, ging ich genau den Weg, den ich gekommen war. Ich weiß nicht, was es war, aber irgendetwas veranlasste mich, in eine Straße einzubiegen, die eigentlich nicht meinem normalen Weg entsprach. Meilenweit ging ich. Und als ich an das Ende der Straße gelangte …»
Den Rest seiner merkwürdigen Tat fasste er in ein paar knappen Sätzen zusammen. Und auch von seiner nächtlichen Wache in eisiger Kälte erzählte er nur kurz. Angelica selbst hatte ihm bisher noch gar nichts von den näheren Umständen ihrer Gefangenschaft berichtet.
«Das ist die Geschichte», beendete er seine Erzählung. «Den Rest kennst du.»
Überwältigt von den Gefühlen, die sie in all den vergangenen Tagen zurückgehalten hatte, drückte sie ihr Gesicht an seine Brust und weinte heiße Tränen.
Semjon nahm sie noch fester in den Arm und flüsterte ihr liebevolle und beruhigende Worte ins Ohr. Nach einer Weile versiegten ihre Tränen. Er schob sie sanft zurück auf das Sofa, deckte sie mit dem grauen Tuch zu und legte sich dann neben sie.
«Ich habe dich hier nur zu einer Gefangenen gemacht, um deine Sicherheit zu gewährleisten», murmelte er. «Und auch wenn du damit vielleicht keinen Schaden angerichtet hast, bereitet es mir doch Sorge, dass du ohne Begleitung im Freien warst. Ich frage mich, wo wohl die Wachmänner waren, die auf dich achten sollten?»
«Ich habe niemanden gesehen», wisperte sie. «Wie sahen sie denn aus?»
«Oh, sie könnten Cousins von mir sein», erklärte Semjon. «Groß. Dunkel. Natürlich hielten sie abwechselnd Wache und waren nie alle auf einmal anwesend. Aber jeder der Männer war geschult darin, von niemandem gesehen zu werden. Vielleicht ist das der Grund, weshalb dir niemand aufgefallen ist.»
Er nahm sich fest vor, die drei Männer sofort nach seiner Rückkehr in das Haus am St. James’s Square nach den Gründen für ihre Abwesenheit zu fragen. Im Moment hegte er die Vermutung, dass Todt sich einfach vor der Arbeit gedrückt hatte und die anderen beiden, Wladimir und Sascha, gar nicht erst gekommen waren.
Ich werde sie Mores lehren, wenn sie ihre Pflichten vernachlässigt haben, dachte er voller Zorn.
Angelica kuschelte sich enger an ihn. Wenn er wirklich alles war, was sie auf der Welt hatte, dann würde er bis zum Äußersten gehen, um sie zu beschützen. Semjon rutschte ein wenig auf dem Sofa nach oben, denn er spürte, wie das Fell auf seinem Rücken sich gegen sein Hemd presste. Angelica schien auf vielerlei Weise das Tier in ihm zu wecken. Schutzengel, Freund – was immer sie brauchte, er würde es für sie sein. Seine Gedanken schweiften ab. Auch das geschah, wenn er sie so dicht an sich geschmiegt hielt.
«Du scheinst hier doch sehr glücklich», stellte er abwesend fest. «Wieso musstest du dann hinaus?»
Sie ließ sich eine Weile Zeit mit ihrer Antwort. «Als du die Tür zu diesem Haus öffnetest, da war das, als wäre ein Leben zu Ende gegangen und ein anderes hätte begonnen, Semjon.»
Wieder eine Pause. Er wartete.
«Nachdem, was geschah, glaubte ich, vielleicht verrückt geworden zu sein und mir diese … diese Beschaulichkeit nur einzubilden.»
«Ich glaube, das verstehe ich.» Er wusste zwar genau, dass er die Welt nicht durch ihre Augen sehen konnte, hörte aber dennoch weiter zu.
«Um
Weitere Kostenlose Bücher