Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)
habe, spielt das keine Rolle mehr», knurrte Semjon.
Antoscha warf ihm einen prüfenden Blick zu. «Dein Fell tritt hervor. Ich glaube, das passiert immer dann, wenn deine Gefühle derart aufgewühlt werden.»
Semjon starrte seinen Sekretär an.
«Einerlei. Wenn St. Sin Angelica einem mächtigen Mann versprochen hat, dann muss er dieses Versprechen auch einhalten.»
«Du redest, als würdest du diese Menschen kennen.»
«Ich weiß, wie sie denken. St. Sin hat ein Netz gesponnen, in dem er sich mittlerweile selbst verstrickt hat. Wenn er einen Kunden enttäuscht, wird das Folgen haben. Und es gibt auch noch andere Dinge, um die er sich sorgen muss.»
Semjon atmete zischend aus, konnte seinen Zorn aber damit nicht mildern. «Zum Beispiel?»
«Sin ist ein schwerer Trinker. Und das fängt langsam an, seinen Geist zu verwirren.»
«Können wir das gegen ihn verwenden?»
Antoscha lächelte traurig. «Wahrscheinlich schon.»
«Nun denn …», hob Semjon an und beugte sich mit kämpferischem Blick nach vorn.
«Der Mann stellt in seiner Unberechenbarkeit eine große Gefahr dar. Und am schlimmsten ist, wir wissen nicht, wie viel er über uns weiß.»
Semjon schwieg.
«Es könnte sein, dass gewisse Missionen durch ihn vereitelt werden könnten», erklärte Antoscha. «Der Sache muss also Einhalt geboten werden.»
«Davon wusste ich nichts.»
«Deine älteren Brüder zogen es vor, dich darüber im Unklaren zu lassen.»
«Antoscha, unsere geheime Arbeit im Namen der Krone reicht schon Jahrhunderte zurück. Unsere Wolfskräfte haben es uns bisher ermöglicht, jedem Spion zu entgehen.»
«Das Rudel hat ab und zu den ein oder anderen von ihnen angefallen. Höchst undiplomatisch.»
Semjon ignorierte den Kommentar. «Sin ist doch kein Spion, oder?»
«Nein. Aber sein großer Einfluss und seine Skrupellosigkeit könnten den Feinden Englands sehr gelegen kommen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bevor sich jemand sein Wissen zunutze macht.»
Semjon versank eine Minute in nachdenklichem Schweigen. «Der König und sein engster Kreis werden es nicht zulassen, dass die Regierung von einem Mädchenverhökerer gestürzt wird.»
«Es wäre nicht das erste Mal.» Antoscha tippte erneut auf das Buch. «Das könnte jederzeit wieder geschehen. Und wenn die Regierung stürzt, werden wir, das Rudel, mit in den Abgrund gerissen. Vielleicht schickt man uns sogar ins Exil.»
Im Raum herrschte eine beunruhigende Stille, als plötzlich ein eisiger Regen einsetzte, der gegen die Fensterscheiben prasselte und dort gefror.
«Ich werde Angelica nicht diesem Monster aushändigen», erklärte Semjon mit tiefer Stimme.
«Grundgütiger, das verlangt doch auch niemand von dir», beschwichtigte Antoscha geduldig. «Aber ich denke, es wäre besser, sie an einen anderen Ort zu bringen, wo sie sicherer ist. An einen Ort, der nicht in derartiger Nähe zum Hof des Königs liegt. Und auch nur so lange, bis St. Sin das Interesse verliert und sich auf etwas anderes konzentriert. Oder am Alkohol und seinen Ausschweifungen zugrunde geht, wenn wir Glück haben», fügte er hinzu.
«Frankreich? Holland?», fragte Semjon mit Verzweiflung in der Stimme. «Wo soll ich sie denn hinbringen?»
«Nicht ins Ausland. Wenn Sin verlangt, die auslaufenden Schiffe zu überwachen, wird man ihm das gewähren. Sie würde wegen irgendeiner erfundenen Beschuldigung festgenommen werden, und wir müssten uns wahrscheinlich mit dem Teufel verbünden, um sie zu befreien. Nein, ich würde das Land vorschlagen. Heraldshire, vielleicht. An der Küste.»
«Wieso dort?»
«Dort sind keine Wälder, und die Umgebung ist flach. Die Bevölkerung dort ist verschwiegen und misstrauisch. Ein einzelner, fremder Besucher würde sofort auffallen.»
«Würde die Bevölkerung uns denn willkommen heißen?»
Antoscha zwinkerte. «Geld hilft immer. Das wird dort keiner von ihnen ablehnen. Man wird sie verstecken, bis du sie wieder abholst.»
«Ich werde sie nicht allein dort lassen», erklärte Semjon. «Das Rudel wird also eine gewisse Zeit ohne mich auskommen müssen. Und du musst es Kyrill, Marko und Iwan erklären.»
«Das begreife ich langsam auch. Übrigens, die hiesigen Schmuggler haben Tunnel zu den Klippen gegraben. Eine Flucht ist also leicht möglich, falls es nötig wird.»
«Mmh.» Semjon wusste nicht, was er tun sollte.
«Oder sie bleibt hier in London. Dann müsstest du allerdings einige falsche Hinweise streuen, um Sin und seine Männer in die Irre zu
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