Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)
Hieb verdient hätte.
Der ältere Herr, der sie und Semjon gewollt hatte, schwenkte die Faust. «Beschädigen Sie sie doch nicht, Mann. Sie gehört mir! Ich habe für sie bezahlt!» Er wedelte wie wild mit den Banknoten in der Luft herum und erhob sich, um Sin weiter anzubrüllen.
«Das reicht nicht», erklärte dieser verächtlich. «Was wird mir sonst noch geboten?»
Angelica blickte umher, konnte in dem vollen, dunklen Saal aber nicht viel erkennen. Dann erklang plötzlich eine ihr seltsam bekannte Stimme: «Tausend Pfund mehr! Für mich und meine Frau!»
«Zweitausend mehr! Dann kriegt ihr beide!», rief Sin von der Bühne herunter.
Angelica kannte diese Stimme von irgendwoher, konnte sich aber nicht recht an ein Gesicht dazu erinnern. Verzweifelt schaute sie sich im Saal um. Um wen es sich bei dem Bieter auch handelte – die Stimme war die eines Mannes gewesen. Er könnte heute Abend ihr Retter sein.
«Eintausendfünfhundert», rief der Bieter.
Sie hätte Sin am liebsten angebrüllt, das Gebot anzunehmen und die Sache damit zu beenden. Wie viel er noch verlangen wollte, wusste sie nicht. Aber es gab einen Preis, den offensichtlich auch der reichste Mann von allen nicht überschreiten wollte – nicht, wenn man in ganz London derart viele billige Vergnügungen finden konnte.
Eine wilde Hatz mit dem Käufer zu einer wartenden Kutsche, vorbei an Sin, die Taschen voller Geld. Der Kunde würde sicher mit einer Privatvorführung bei ihm zu Hause oder an irgendeinem höllischen Ort wie diesem rechnen. Aber die würde er nicht bekommen. Zwar waren sie selbst in der Kutsche oder dem Haus eines Fremden alles andere als sicher, aber immerhin hätten sie damit eine kleine Chance, zu fliehen und damit vielleicht zu überleben.
«Ich nehme an, Sie sind glücklich verheiratet», rief Sin dem nicht zu erkennenden Bieter zu und versuchte, den Mann durch kleine Scherze weich zu machen. «Wie viele Ehegatten und Ehefrauen sind denn heute Abend eigentlich zugegen?», fragte er in die lachende Menge. «Ist der Ehestand denn wirklich so langweilig?»
Die Antwort aus dem Publikum bestand aus unanständigen Antworten und Buhrufen.
«Wollen denn noch mehr Paare bieten?»
«Eintausendfünfhundert», wiederholte die bekannte Stimme.
«Pah! Diese beiden sind mehr wert.» Er verpasste Angelica mit der Gerte einen kurzen Hieb auf die Waden. «Weitaus mehr!»
Angelica schwankte. Sie war immer noch am Hals mit Semjon zusammengekettet, konnte sich aber gerade noch an seinem standhaften Körper festhalten. Was wohl gerade in seinem Kopf vorging? Sie wusste es nicht.
War er überhaupt noch in der Lage zu denken? Ihr schien es, als wäre ihr Geliebter nur noch teilweise anwesend. Als wäre er nichts weiter als ein Bild in einer Laterna Magica und gar kein richtiger Mensch mehr. Und auch kein Wolf.
«Sie allein», rief jetzt ein anderer Mann.
«Nein. Die beiden werden zusammen verkauft oder gar nicht!»
Die Auktion wurde immer fieberhafter, aber keins der Gebote konnte Sins Gier befriedigen – oder seinen Wahnsinn. Plötzlich ertönte aus der Dunkelheit erneut die ihr bekannt vorkommende Stimme. «Zweitausend!»
Endlich. Angelica warf Sin einen verzweifelten Blick zu. Würde er das Gebot, das er verlangt hatte, jetzt auch annehmen?
Er sah sie und Semjon drohend an. «Streichele ihn weiter! Lass ihn hart werden! Arbeite für dein Geld, Angelica!»
Voller Verwirrung und Verzweiflung tat die junge Frau wie ihr geheißen, streichelte ihren Geliebten zunächst nur, ging dann aber dazu über, ihn regelrecht zu kratzen. Die kleinen blutigen Kratzspuren ließen das Publikum erneut begeistert aufschreien.
Sie schlug und trat ihn so lange, bis plötzlich die Leere in seinen Augen verschwand und das sanfte Farbgemisch aus Braun und Grün sich in das altbekannte, stechende Gelb verwandelte. Semjons Pupillen wurden zu ovalen Schlitzen, die seine Augenwinkel wie kleine Dolche aussehen ließen.
Sins endlose Appelle an das Publikum wurden immer wilder und obszöner. Wieder und wieder zeigte er auf Teile ihrer Körper und schlug mit seiner Gerte mittlerweile sogar auf beide ein.
Semjon verzog keine Miene, und das machte Sin sehr wütend. Er packte die Kette, die die beiden miteinander verband, und zerrte Angelica an den Rand der Bühne. Dort schlug er unaufgeregt, aber auch ohne jeden weiteren Gedanken, ob er damit vielleicht die Zartheit ihrer Haut verletzten könnte, auf sie ein. Er war viel zu weggetreten, um weitere Veränderungen
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