Die Lennox-Falle - Roman
wohlhabend, speist häufig in den teuersten Restaurants und pflegt reichlich Trinkgeld zu geben. Seine Gäste reichen von Arztkollegen über Politiker aus Bonn bis zu verschiedenen Prominenten von Film und Fernsehen. Um den Versuch einer Zusammenfassung zu machen: er ist ein Bonvivant mit einer beruflichen Stellung, die ihm diesen extravaganten Lebensstil gestattet.
Moreau griff nach dem Telefon und drückte einen Knopf, der eine direkte Verbindung mit seinem Beauftragten in Nürnberg herstellte.
»Ja?« sagte die Stimme in Deutschland.
»Ich bin es.«
»Ich habe Ihnen alles geschickt, was mir zugänglich war.«
»Nein, das haben Sie nicht. Graben Sie alles, was Sie können, über Elke Müller aus.«
»Traupmanns geschiedene Frau? Warum? Das liegt weit zurück.«
»Weil sie der Schlüssel zu allem ist. Eine Scheidung nach ein oder zwei Jahren wäre verständlich, nach zwanzig Jahren völlig akzeptabel, aber nicht nach fünf. Da steckt irgend etwas dahinter. Tun Sie, was ich sage, und schicken Sie mir das Material, so schnell Sie können.«
»Das wird nicht leicht sein«, wandte der Agent in Nürnberg ein. »Sie lebt jetzt unter ihrem Mädchennamen in München.«
»Haben Sie die Adresse?«
»Natürlich.« Der Agent gab sie ihm.
»Dann vergessen Sie meine letzte Anweisung. Ich habe es mir anders überlegt. Verständigen Sie München, daß ich mit dem nächsten Flugzeug komme. Ich möchte selbst mit dieser Dame sprechen.«
Sorensons Flugzeug landete in dem etwa dreißig Meilen südlich von Centralia gelegenen Mount Vernon, Illinois. Mit dem falschen Führerschein und ebensolcher Kreditkarte, die ihm Consular Operations zur Verfügung gestellt hatte, mietete er einen Wagen und folgte in nördlicher Richtung der Route, die der Angestellte der Mietwagenfirma auf der Übersichtskarte
markiert hatte. Cons-Op hatte ihm auch einen Stadtplan von Centralia gegeben, auf dem die Adresse, 121 Cyprus Street, ebenso deutlich markiert war, wie die Zufahrt vom Highway 51. Zwanzig Minuten später rollte Sorenson die ruhige, von Bäumen gesäumte Straße hinunter und sah sich nach Nummer 121 um. Die Szenerie, in der er sich fand, verkörperte das bürgerliche Amerika einer vergangenen Ära, mit großen Häusern und ebenso großzügigen mit geschnitztem Gitterwerk geschmückten Veranden davor, auf denen nur selten der obligatorische Schaukelstuhl fehlte. Man konnte sich gut vorstellen, wie die Besitzer der Häuser auf diesen Schaukelstühlen saßen und am Nachmittag mit ihren Nachbarn Tee tranken.
Dann sah er den Briefkasten 121. Dieses Haus war irgendwie anders, wenn auch nicht im Baustil oder der Größe, und doch war da irgend etwas, was er nicht auf den ersten Blick erkannte. Was war es? Die Fenster, dachte der Direktor von Consular Operations. Hinter den Fenstern im ersten und zweiten Stock waren die Vorhänge zugezogen. Selbst im Erdgeschoß versperrten Jalousien den Einblick durch das große Erkerfenster. Eine besonders einladende Atmosphäre strahlte dieses Haus jedenfalls nicht aus. Trotzdem parkte Wesley seinen Wagen am Bürgersteig, stieg aus, ging den Plattenweg hinauf und die Treppe hoch und klingelte.
Die Tür öffnete sich, und ein schlanker alter Mann mit schütterem weißen Haar und einer dicken Brille sah ihn an. »Ja, bitte?« sagte er mit weicher Stimme, die kaum die Spur eines Akzents erkennen ließ.
»Mein Name ist Wesley Sorenson, ich komme aus Washington, D.C., Mr. Schneider. Wir müssen miteinander reden. Entweder hier oder unter weniger angenehmen Begleitumständen.«
Die Augen des alten Mannes weiteten sich, und sein Gesicht verlor jegliche Farbe. Er setzte ein paarmal zum Sprechen an, was ihm aber sichtlich einige Mühe bereitete. Schließlich sagte er: »Ach, Sie haben so lange gebraucht, es liegt so weit zurück … kommen Sie herein. Ich habe Sie jetzt beinahe fünfzig Jahre erwartet … kommen Sie, kommen Sie, draußen ist es zu warm, und die Klimaanlage ist teuer … Aber das ist jetzt alles nicht mehr wichtig.«
»Wir sind etwa im gleichen Alter, Mr. Schneider«, sagte Sorenson, als er die geräumige, im viktorianischen Stil gehaltene Vorhalle betrat, und dann Schneider in das schattige mit wuchtigen Möbeln gefüllte Wohnzimmer folgte. »Fünfzig Jahre ist für keinen von uns beiden besonders lang.«
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Offen gestanden könnte ich jetzt einen Schluck gebrauchen.«
»Ein kleiner Whiskey wäre mir recht, wenn Sie welchen haben. Am liebsten
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