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Die Lennox-Falle - Roman

Die Lennox-Falle - Roman

Titel: Die Lennox-Falle - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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hielt; sie hatte versucht, ihn hinter sich herzuzerren. Sie lebte, ihre rechte Hand war blutig, aber sie lebte! Doch Harry war tot, sein Kopf war eine einzige schreckliche Masse aus Blut und weißem Gewebe, sein Gehirn war völlig zerfetzt. Drew, dessen Mund sich vor Entsetzen verzerrt hatte, schloß erschrocken die Augen, zwang sich aber dann, sie wieder zu öffnen, während seine Hände die Taschen seines toten Bruders durchsuchten und seine Brieftasche und alle anderen Papiere herauszogen, die zu seiner Identifizierung führen könnten. Warum? Er war nicht sicher, weshalb er das tat, wußte nur, daß er es tun mußte.
    Dann zog er die heftig schluchzende Karin aus der Nische heraus, wickelte eine Stoffserviette um ihre Hand, brachte sie vom Schauplatz des schrecklichen Geschehens weg. Er würde später die notwendigen Erkundigungen anstellen. Jetzt war keine Zeit, um den Bruder zu trauern oder auch nur seine Leiche anzustarren. Er mußte Karin de Vries so schnell wie möglich zu einem Arzt schaffen und dann selbst wieder an die Arbeit gehen. Die Bruderschaft mußte vernichtet werden, das mußte sein, und wenn
er sein ganzes restliches Leben darauf verwenden mußte, oder selbst wenn es sein Leben kosten sollte. Zu dieser Pflicht bekannte er sich in diesem Augenblick vor allen Göttern dieser Welt.
     
    »Sie dürfen nicht in Ihr Büro gehen, verstehen Sie das denn nicht?« sagte Karin erregt, die auf einem fahrbaren Krankenbett im Operationssaal des Arztes saß, den die Botschaft aus der sicheren Liste ausgewählt hatte. »Das spricht sich herum, und Sie sind ein toter Mann!«
    »Dann muß man mein Büro eben dorthin verlegen, wo ich gerade bin«, sagte Drew mit leiser, eindringlicher Stimme. »Ich brauche alle Hilfsmittel, die uns zur Verfügung stehen, überall, und ich werde mich nicht mit weniger zufrieden geben. Der Schlüssel zu allem ist ein Mann namens Kröger, Gerhard Kröger, und ich werde den Hundesohn finden. Das muß ich! Wer ist er? Wo ist er?«
    »Er ist Arzt, das wissen wir, und er muß Deutscher sein.« Karin de Vries musterte den jüngeren Lennox-Bruder, während sie langsam ihre bandagierte rechte Hand immer wieder hob und senkte, wie der Arzt sie angewiesen hatte. »Um Gottes willen, Drew, lassen Sie es aus sich heraus.«
    »Was?« fragte Lennox scharf.
    »Sie versuchen, sich einzureden, das hier sei nicht geschehen, und das ist unsinnig. Sie trauern um Harry genau wie ich das tue - sicher sogar noch mehr -, aber Sie halten diese Trauer in sich fest und das zerreißt Sie. Hören Sie auf, so distanziert zu sein. Das war Harry, nicht Sie.«
    »Sie haben da einmal eine Formulierung über Harry gebraucht, darüber wie er an Probleme oder Krisen heranging. Sie haben es sang-froid genannt und das bedeutet, wie ich es verstehe, ruhig oder leidenschaftlos. Das war Harrys größte Stärke. Wenn er irgend etwas in Angriff nahm, dann tat er das nicht nur ruhig oder kühl, sondern kalt, geradezu eiskalt. Ich war da die einzige Ausnahme; wenn er mich ansah, war da in seinem Blick immer eine Wärme, wie ich sie sonst selten zu sehen bekam … Nein, da war noch jemand, unsere Kusine, die von der ich Ihnen erzählt habe, die an Krebs gestorben ist. Sie war für ihn auch sehr wichtig, bis Sie dann kamen.«

    »War denn Harry als Kind schon so?«
    »Als Kind, als junger Mann und als Erwachsener. Ein absoluter Einser-Schüler. Und als Student immer an der Spitze seiner Kommilitonen. Vordiplom, Diplom und Doktor, bevor er dreiundzwanzig wurde. Er mußte immer der beste sein; er sprach fünf oder sechs Sprachen fließend. Ich sagte ja, er war schon etwas Besonderes.«
    »Und Sie?«
    »Nun, ich bin wahrscheinlich mehr nach meiner Mutter geraten als Harry. Beth ist groß und kräftig gebaut und war in ihrer Jugend eine verdammt gute Sportlerin. Sie war Kapitän der Sprinterinnen auf dem College, und hätte sich, wenn sie meinen Vater nicht kennengelernt hätte, vielleicht um einen Platz im Olympiateam bemüht.«
    »Sie haben eine interessante Familie«, sagte Karin und musterte wieder Drews Gesicht, »und Sie erzählen mir das alles nicht nur, um meine Neugierde zu befriedigen, nicht wahr?«
    »Ich möchte, daß Sie mich kennenlernen, daß Sie wissen, wo ich stehe und wo ich herkomme. Wenigstens ein Teil Ihrer Neugierde sollte befriedigt werden.«
    »In Anbetracht Ihrer Verschlossenheit wundert mich das eigentlich.«
    »Das ist mir klar. Ich versuche nur einiges zusammenzufügen … Vorhin in dem Gasthaus, als die

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