Die Leopardin
Amme. Er ist
hungrig.« Mitleidig schaute sie Harry an, als wäre er ein sterbendes
Tier. »Es ist wohl offensichtlich, daà er nichts weiÃ. Erlöse ihn mit
deinem Dolch von seinem Elend, oder laà ihn zu den anderen Gefangenen
bringen und verlang Lösegeld für ihn.«
»Du wirst
bezahlt, damit du mit gespreizten Beinen auf dem Rücken liegst und den
Mund hältst!« fauchte er. »Jederzeit könnte ich dich rauswerfen â
einfach so!« Er schnippte mit den Fingern.
Nicht im
mindesten eingeschüchtert, warf sie ihm einen verächtlichen Blick zu
und ging hinaus. Es schneite immer noch, aber die groÃen nassen Flocken
mischten sich mit silbrigen Regentropfen. Aus dem Zelt drangen die
dumpfen Geräusche von Schlägen und Ranulfs wütende Stimme. Sie kannte
diesen ohnmächtigen Zorn, denn sie hatte ihn oft genug selbst
empfunden, aber niemals intensiv genug, um einen Mord zu begehen.
Jordan
wimmerte an ihrer Schulter, als sie um das Lagerfeuer und die
Wachtposten des Grafen herum zu ihrem kleineren Zelt lief. Hungrig
wanderten die Augen der Männer über Olwens Körper, wurden jedoch
ignoriert. Diese Bande irritierte sie nicht mehr als ein Mückenschwarm.
Zwei
Soldaten ritten an ihr vorbei durch den Schlamm und machten den Weg
frei für die kostbar gekleideten Männer, die ihnen folgten. Sie
erkannte Robert von Gloucester. Seine Augen, in unbestimmtem Graublau,
richteten sich zögernd auf Olwen und das Baby, dann auf den Kopf seines
Pferdes, als würde ihn die schwarze Mähne ungeheuer faszinieren.
Unnötigerweise strich er sie glatt, suchte Zuflucht bei einer
Beschäftigung, die ihn völlig in Anspruch zu nehmen schien. Am Vorabend
hatte sie vor ihm getanzt und Begierde in seinen Augen glitzern sehen,
aber er war nicht an sie herangetreten. Offenbar führte er eine
glückliche, wenn auch aus politischen Gründen geschlossene Ehe, und die
wollte er nicht gefährden.
Nun behandelte er sie wie
eine fragwürdige Kreatur, die unter einem Stein hervorgekrochen war.
Erbost trat sie zu ihm und ergriff das Zaumzeug seines Pferdes. »Auf
ein Wort, Lord Robert.«
»LaÃt los!« Er zerrte an den Zügeln und sein Streitroà begann nervös zu tänzeln.
»Ich
habe Euch etwas mitzuteilen. Soeben miÃhandelt Graf Chester einen der
Männer, die bei der Furt gefangengenommen wurden. Es ist ein Ritter,
für den man Lösegeld fordern müÃte.«
Gloucester
runzelte die Stirn. Dieser anmaÃenden Hure sollte er die passende
Antwort geben â nämlich, daà Ranulf tun und lassen könne, was ihm
beliebe, und daà er selbst sich nicht für ihre Klatschgeschichten
interessiere. Aber sie interessierten ihn, weil er den Gefangenen
selbst verhören wollte, vorzugsweise, wenn sich der Mann in halbwegs
guter körperlicher und geistiger Verfassung befand. »LaÃt los«,
wiederholte er, und Olwen gehorchte. Lächelnd beobachtete sie, wie er
zu Ranulfs Zelt ritt.
In ihrem eigenen Zelt übergab sie
Jordan der Amme und sah zu, wie er gierig an deren Brust saugte. Er war
ein gutmütiges Baby, grinste oft und heulte selten. Aber wenn er in Wut
geriet, brüllte er ohrenbetäubend.
Olwen hatte sich
noch immer nicht an die Tatsache gewöhnt, daà dies ihr Kind war. In
ihrem Gewerbe kam eine Schwangerschaft einer Katastrophe gleich. Sie
hatte versucht, sich davor zu schützen, doch das war miÃlungen. Und nun
muÃte sie nicht nur an sich selbst, sondern auch an Jordan denken. Er
wies keine bemerkenswerte Ãhnlichkeit mit seinem Vater auf, abgesehen
von seinem Haar, aber das würde niemandem auffallen, solange sich
Renard keinen Bart wachsen lieÃ.
Manchmal, wenn sie das
Baby betrachtete, empfand sie einen fast beängstigenden Haà â und
dann wieder eine tiefe Liebe, die sie noch mehr erschreckte. Hin und
wieder überlegte sie, ob sie ihren Sohn einfach den Frauen
überantworten und davonlaufen sollte. Aber wohin? AuÃerdem konnte sie
das Kind unmöglich dem Grafen von Chester anvertrauen. Er zweifelte
immer noch an seiner Vaterschaft und betrachtete Jordan mit
zwiespältigen Gefühlen. Neulich hatte er ihn sogar absichtlich fallen
lassen. Bis auf ein paar kleine Schürfwunden war das Baby nicht
verletzt worden und Ranulf ehrlich zerknirscht gewesen. Aber Olwen
hatte die Warnzeichen erkannt. Die Situation würde sich nicht bessern.
Wenn der Junge heranwuchs,
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