Die Leopardin
Renard?«
»Wahrscheinlich.«
Hinter
der unbeweglichen Maske seines Herrn sah Ancelin tiefen Kummer. Zwei
Brüder auf verschiedenen Seiten des Schlachtfelds â und der dritte
vielleicht schon verloren ⦠Nach dem Scharmützel bei der Furt
waren die Leichen der Gefallenen unter dem Banner des Waffenstillstands
zu den Königstreuen gebracht worden. Harry hatte sich nicht darunter
befunden, aber über die Hälfte der Männer war im Fluà ertrunken, vom
Gewicht der Rüstungen nach unten gezogen. Andere hatte der Feind bis
zur Unkenntlichkeit verstümmelt, und bisher war nichts über Gefangene
und Lösegeldforderungen verlautbart worden. Vermutlich war Harry tot.
Aber ohne GewiÃheit bohrte sich der Hoffnungsfunke wie eine
scharfgespitzte Spore in offene Wunden. Sie wollten trauern, doch sie
konnten es noch nicht.
Seufzend umklammerte Ancelin den
Griff der breiten Streitaxt, die in seiner Familie vom Vater auf den
Sohn überging â schon seit der Schlacht von Senlac, wo sich sein
UrgroÃvater als bedeutsamer Lehnsmann hervorgetan hatte. Danach waren
die männlichen Familienmitglieder in den Dienst von Renards Ahnherrn
Miles le Gallois getreten, dann hatten sie Graf Guyon gedient. Und nun
fühlte sich Ancelin dem Grafen Renard in unerschütterlicher, gleichsam
angeborener Treue verbunden. Le Gallois' Frau war Sächsin gewesen, und
ihr Blut, mit walisischen und normannischen Strömungen vermischt, floÃ
immer noch in Renards Adern. Auch in Williams und Harrys Adern wartete
es nun darauf, vergossen zu werden. Liebevoll strich Ancelin über den
glatten Eschenholzschaft und wünschte, auch er wäre an Fieber erkrankt.
Renard
überprüfte die Position seiner Männer. Hinter ihnen sah er den
vergoldeten Helm des Königs, den gestutzten blonden Bart, die
flatternde rotgoldene Standarte, die seinen Standort markierte, während
er Gloucesters Rede lauschte. Hin und wieder neigte Stephen den Kopf,
um Ingelram von Say etwas zuzuflüstern. Nicht nur der Wind trieb ihm
das Blut ins breitknochige Gesicht. Offensichtlich stand er kurz vor
einem seiner seltenen, aber berühmten Wutausbrüche. Das mochte auch an
der GewiÃheit liegen, daà sein Bruder Henry von Winchester zu den
Rebellen zählte, den er geliebt, dem er tiefer vertraut hatte als sonst
jemandem.
Obwohl Renard seinen Soldaten aufmunternd
zulächelte, krampfte sich sein Magen zusammen. Er war zwar
kampferprobt, hatte aber nur an kleineren Scharmützeln teilgenommen,
noch nie an einer groÃen Schlacht. Und er war es gewöhnt, im Sattel zu
kämpfen, nicht zu FuÃ, so wie Stephen es für sein Kontingent
beschlossen hatte.
Ein Schrei klang in der Flanke auf,
die Alain von Brittany befehligte. Mehrere Ritter lösten sich aus der
Formation, um einige Rebellen mit ihren Lanzen herauszufordern. Renard,
die Hand auf der Schulter eines jungen FuÃsoldaten aus Ledworth, spürte
durch das gesteppte Leder hindurch ein Zittern. »Mir wird schlecht«,
wisperte der Bursche, das Gesicht aschfahl. »Ich glaube, ich muà mich
übergeben.«
Renard wuÃte, daà jeder Mann, der seine
fünf Sinne beisammen hatte, nun den eigenen Tod vor Augen sah. Auch er
selbst war nun gefangen im Räderwerk des Krieges. »Dann tu's jetzt,
mein Junge.« Er grub die Finger noch fester in die Soldatenschulter.
»Später hast du keine Zeit mehr dafür.«
Die
herausfordernden Rufe gingen in Wutgeheul und Schmerzensschreie über.
In ungeordneten Reihen, wie die ausgefransten Ränder von
Gewitterwolken, prallten Gloucesters Truppen mit den bretonischen und
flämischen Flanken zusammen. Alle Gedanken an Ritterlichkeit verflogen
schneller als der Duft teurer Parfüms, als die Rebellen ihre Vorliebe
für harte, erbitterte Kämpfe zeigten.
Der junge Soldat
erbrach. Stephen erteilte einen Befehl, den der Schlachtenlärm
übertönte. Das Schwert gezogen, den Schild vor dem linken Arm, eilte
Renard zu Ancelin, um dem Angriff der Vasallen und Aufgebote Graf
Ranulfs zu begegnen. Später konnte er sich kaum an die Schlacht
erinnern. Er wuÃte nur, daà Männer, die es hätten besser wissen sollen,
angesichts eines Feindes geflohen waren, der wilder gebellt als
gebissen hatte. Sie ergriffen die Flucht, weil sie nach den bösen
Vorzeichen â am Vortag in der Kirche beobachtet â zu
verlieren glaubten. Und indem sie davonrannten, besiegelten sie
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