Die Leopardin
denke schon. Aber bleibt in Hildas oder Adelas Nähe und wagt euch
bloà nicht zum FluÃ!«
»Gewià nicht, GroÃmutter«, gelobten sie wie aus einem Mund und stürmten davon.
»Nicht
so schnell!« mahnte sie und schaute ihnen nach, als sie den Hof
durchquerten, um ihre Umhänge zu holen, die geplagte Nurse im
Schlepptau. Nur zu gut erinnerte sie sich an die Zeit, wo sie sich
selber so manchen Tadel eingefangen hatte, weil sie zu schnell gelaufen
war. Oder weil sie sich im Stall versteckt oder ins Wachzimmer
geschlichen hatte, um Constable de Bec einzureden, er müsse ihr
unbedingt zeigen, wie man mit einem Dolch umging ⦠So nah
erschienen ihr jene Tage â und doch so weit entfernt. Nun war sie
fünfundsechzig, und Guyon würde im Frühling seinen neunundsechzigsten
Geburtstag feiern. Aber es gab Jahre, wo man vergeblich auf den
Frühling wartete â¦
Die Mädchen kehrten mit Adela
zurück und schlossen sich den Beerensammlerinnen an. Ihr Gelächter
klang so hell wie bimmelnde Zaumzeugglöckchen. Auf dem Weg zur
AuÃenmauer winkte Rhosyn ihr zu. Lächelnd erwiderte Judith den Gruà und
folgte ihnen etwas langsamer, bis sie den Lustgarten erreichte. Dort
saà Guyon auf seinem Lieblingsplatz, einer Torfbank neben der
Rosenhecke, und würfelte mit Miles, dem älteren Bruder der Zwillinge.
Der Junge war jetzt fast elf und näherte sich allmählich dem Stimmbruch.
Er schenkte ihr Adams schiefes Grinsen, als sie sich neben ihren Mann setzte und fragte: »Wer gewinnt?«
»GroÃvater, wie immer«, antwortete Miles ohne Groll.
Wildgänse
glitten am klaren Himmel dahin, in der Formation eines dunklen V. Die
Augen zusammengekniffen, verfolgte Judith ihren Flug, bis sie beinahe
aus ihrem Blickfeld verschwunden waren.
»Schon jetzt
ziehen sie nach Süden«, bemerkte Guyon und hüstelte. Seit er beinahe
ertrunken wäre, wurde er seine Heiserkeit nicht los. »Also steht uns
ein harter Winter bevor.«
»Du bist dran, GroÃvater«, mahnte Miles.
Versonnen
betrachtete Judith die spätherbstlichen Farben der Gartenbeete â
Ringelblumen, Kamille, gelbes Habichtskraut und violette
Taubenskabiose. Guyon warf den Würfel, studierte das Brett und bewegte
seine Figur. Dann musterte er seine Frau. »Mach dir keine Sorgen«, bat
er leise und drückte ihre Hand. »Renard wird kommen.«
Wehmütig
seufzte sie auf. Sie kannten sich zu gut, um etwas voreinander zu
verbergen, und sie wollten es auch gar nicht. »Ja, ich weiÃ. Aber es
ist so lange her, seit uns sein Brief aus Brindisi erreicht hat, und
die Reiseroute ist gefährlich.«
»Nicht gefährlicher als England.«
Sie
beobachtete, wie sich seine Lippen verkniffen. Während des heiÃen,
trockenen Sommers hatte er zugenommen. Aber sobald der feuchtkalte
Winter begann, würde Guyons rauher Husten zurückkehren und ihn
veranlassen, innerhalb weniger Wochen bis auf die Knochen abzumagern.
Wann immer er sich räusperte, stieg Angst in ihr auf. Sie hatte
Arzneien aus weiÃem Andorn und Frauenminze gebraut, hielt alle Zutaten
für heiÃe Umschläge bereit. Damit konnte sie die schlimmsten Symptome
lindern, aber nicht beseitigen. Plötzlich stieà sie hervor: »Ich
wünschte, mein Vater hätte nicht diese unselige Leidenschaft für
Aaleintopf entwickelt!«
Guyon lachte, dann hustete er.
»Aaleintopf?« Angewidert verzog Miles das Gesicht. »Den hasse ich, genau wie Papa.«
»Ich
auch.« Bekümmert dachte Judith an die Speise, die König Henry vor der
Zeit ins Grab gebracht hatte und vermutlich auch Guyons Tod verursachen
würde. Hätte Henry doch noch ein paar Jahre mit eiserner Hand regiert,
bis sein Enkel und Namensvetter herangereift wäre ⦠Dann gäbe es
jetzt nicht dieses verhängnisvolle Gerangel um die Krone, die weder
Stephen noch Mathilda zu tragen verdienten.
Guyon
hustete wieder, und sie wäre am liebsten aufgesprungen, um ihre
Medizinen zu holen. Aber ihre Erfahrungen hinderten sie daran, diesen
Fehler zu begehen. Wenn er glaubte, sie machte ein zu groÃes Aufhebens
um ihn, wurde er bockig. Um ihr zu beweisen, wie unbegründet ihr Getue
war, mutete er sich Anstrengungen zu, die seinen Zustand noch
verschlechterten. Sie hatte es aufgegeben, ihn zu bemuttern â so
sehr es sie auch quälte, den nächsten Hustenanfall abzuwarten. »Ich
werde jetzt gehen, um
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