Die Leopardin
ihn. »Ich bin so froh, dass du hier bist!«
Er drückte sie an sich und küsste sie. »Wenn’s so ist, dann bin ich froh, dass ich gekommen bin.«
Gemeinsam gingen sie die Treppe hinauf. »Seht mal, wen ich im Keller gefunden habe«, sagte Flick.
Die Dohlen warteten bereits auf weitere Anweisungen von ihr. Sie überlegte. Seit der Schießerei waren fünf Minuten vergangen. Die Nachbarn mussten die Schüsse gehört haben, doch es gab in diesen Zeiten nur wenige Franzosen, die gleich die Polizei riefen. Die Gefahr, eine Vorladung der Gestapo zu bekommen und verhört zu werden, war zu groß. Andererseits war Flick nicht bereit, ein überflüssiges Risiko einzugehen. Die Dohlen mussten daher so bald wie möglich verschwinden.
Sie wandte sich an die falsche Mademoiselle Lemas, die jetzt an einen Küchenstuhl gefesselt war. Flick wusste, was zu tun war, und wurde bitterernst. »Wie heißen Sie?«, fragte sie.
»Stephanie Vinson.«
»Sie sind die Geliebte von Dieter Franck.«
Die Frau war bleich wie ein Leintuch, aber ihre Miene wirkte herausfordernd. Wie schön sie ist, dachte Flick unwillkürlich.
»Er hat mir das Leben gerettet«, sagte Stephanie.
So hat Franck sie also für sich gewonnen, dachte Flick. Letztlich war es gleichgültig: Verrat war Verrat, egal, aus welchem Motiv er begangen wurde. »Sie haben Helicopter in dieses Haus gebracht, damit er geschnappt wird.«
Die Frau schwieg.
»Lebt er noch oder ist er tot?«
»Das weiß ich nicht.«
Flick deutete auf Paul. »Ihn haben Sie auch hergebracht. Sie hätten der Gestapo auch bei unserer Verhaftung geholfen.« Zorn schwang in ihrer Stimme mit, weil sie an die Gefahr denken musste, in der Paul sich befunden hatte.
Die Französin senkte den Blick:
Flick stellte sich hinter ihren Stuhl und zog die Pistole. »Sie haben als Französin mit der Gestapo kollaboriert. Sie hätten uns alle umbringen können.«
Die anderen sahen, was geschehen würde, und traten beiseite, um nicht in die Schusslinie zu geraten.
Stephanie konnte die Waffe nicht sehen, spürte aber wohl, was ihr bevorstand. Sie flüsterte: »Was werden Sie mit mir machen?«
»Wenn wir Sie hier lassen«, antwortete Flick, »dann erzählen Sie Franck, wie viele wir sind und wie wir aussehen. Sie werden ihm also wichtige Hinweise geben, damit er uns verhaften, foltern und töten kann. Stimmt’s?«
Stephanie gab keine Antwort.
Flick richtete die Pistole auf den Hinterkopf der Französin. »Haben Sie irgendeine Entschuldigung dafür, dass Sie dem Feind geholfen haben?«
»Ich habe getan, was ich tun musste. Machen das nicht alle so?«
»Richtig«, sagte Flick und drückte zweimal ab.
Die Waffe schien in dem engen Raum zu explodieren. Blut und noch etwas anderes quoll aus dem Gesicht der Frau und spritzte auf das Oberteil ihres eleganten grünen Kleides. Dann kippte sie lautlos vornüber.
Jelly zuckte zusammen, und Greta wandte sich ab. Sogar Paul wurde bleich. Nur Ruby verzog keine Miene.
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann sagte Flick: »Sehen wir zu, dass wir hier wegkommen.«
Es war schon sechs Uhr abends, als Dieter Franck seinen Wagen vor dem Haus in der Rue du Bois abstellte. Das himmelblaue Fahrzeug war nach der langen Fahrt schmutzbedeckt und mit toten Insekten verklebt. Als er ausstieg, schob sich eine Wolke vor die Abendsonne, und ein Schatten legte sich über die Vorortstraße. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er nahm seine Autobrille ab – er war mit offenem Verdeck gefahren – und glättete sein Haar mit den Fingern. »Warten Sie bitte hier auf mich, Hesse«, sagte er. Er wollte erst einmal mit Stephanie allein sein.
Vor der Haustür fiel ihm auf, dass der Simca Cinq von Mademoiselle Lemas nicht da war. Das Garagentor stand offen und die Garage war leer, und im Hof stand er auch nicht. War Stephanie mit dem Wagen weggefahren? Aber wohin? Sie sollte eigentlich, bewacht von zwei Gestapo-Leuten, im Haus auf ihn warten.
Er klingelte und wartete. Der Ton verhallte und wich einer seltsamen Stille im Haus. Franck warf einen Blick durchs Fenster in den vorderen Salon, doch der war leer wie immer. Er klingelte noch einmal. Niemand kam. Er bückte sich, um durch den Briefschlitz in der Tür zu gucken, doch viel war nicht zu sehen: Ein Stück vom Treppenhaus, ein Gemälde mit einer Schweizer Bergszene und die Küchentür, die halb offen stand. Nichts rührte sich.
Er sah zum Nachbarhaus hinüber. Ein Gesicht hinter der Fensterscheibe zuckte zurück, eine
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