Die Leopardin
Pferd Michel, das uns vielleicht noch nützlich sein könnte...
»Jetzt noch nicht«, erwiderte er. Michel Clairet war seine letzte Hoffnung, und er konnte es einfach noch nicht riskieren, ihn zu verlieren. »Wir warten ab.«
Die beiden Männer gingen bis zum Ende der Straße und beobachteten das Laperriere-Haus von der Ecke aus. Es war ein hoher, eleganter Bau, umgeben von einem Hof voller leerer Fässer, m dem auch ein niedriges Betriebsgebäude mit einem flachen Dach stand. Franck vermutete darunter die Kellerei. Mouliers Lieferwagen parkte im Hof.
Dieter Francks Puls raste. Jeden Moment konnte Clairet wieder auftauchen – und dieses Mal mit seiner Frau und den anderen Dohlen im Gefolge. Sie würden in das Metzgereifahrzeug steigen und das Ziel ihres nächsten Anschlags ansteuern. Und das war dann der Punkt, an dem er zuschlagen und die ganze Bande mithilfe der Gestapo verhaften würde.
Nach einer Weile kam Clairet aus dem flachen Betriebsgebäude. Er war allein. Er blieb er im Hof stehen und sah sich unschlüssig um. »Was ist denn mit dem los?«, fragte Hesse.
»Irgendwas, womit er nicht gerechnet hat«, erwiderte Franck und spürte, wie seine Hoffnungen schwanden. War ihm dieses Weib schon wieder entwischt? Das durfte doch nicht wahr sein!
Clairet war endlich zu einem Entschluss gekommen. Er stieg die Stufen empor, die zum Eingang des Wohnhauses führten, und klopfte. Ein Dienstmädchen mit einem weißen Häubchen auf dem Kopf ließ ihn ein.
Schon nach wenigen Minuten kam er wieder heraus. Er wirkte noch immer verwirrt, schien aber zu wissen, was er wollte. Er stieg in den Lieferwagen, ließ den Motor an und wendete.
Franck fluchte. So wie es aussah, waren die Dohlen nicht hier. Dass Clairet darüber genauso überrascht zu sein schien wie er selbst, war nur ein schwacher Trost.
Er musste unbedingt wissen, woran er war. »Wir halten es wieder wie gestern Abend«, sagte er zu Hesse, »nur dass Sie dieses Mal Clairet verfolgen. Das Haus durchsuche diesmal ich.«
Hesse schwang sich auf sein Motorrad.
Franck wartete ab, bis Clairet, in unverfänglichem Abstand verfolgt von Hesse, davongefahren war. Kaum waren sie außer Sichtweite, winkte er die Gestapo-Beamten zu sich und ging mit ihnen auf das Wohnhaus der Laperrieres zu.
Zwei Männer bekamen die Order: »Überprüfen Sie das Haus und achten Sie darauf, dass niemand es verlässt.« Dem dritten Mann nickte er zu und sagte: »Wir beide durchsuchen die Kellerei.«
Im Erdgeschoss des Betriebsgebäudes befanden sich eine große Weinpresse und drei riesige Fässer. Die Kelter war makellos sauber: Die Weinlese fand erst in drei oder vier Monaten statt. Außer einem alten Mann, der den Boden fegte, war niemand zu sehen. Franck erblickte die Treppe und lief hinunter. In der kühlen Halle unter der Erde war mehr los: Eine Hand voll Arbeiter im Blaumann drehten die Champagner-Flaschen auf ihren Ständern. Als sie der Eindringlinge gewahr wurden, hielten sie inne und starrten sie an.
Franck und sein Begleiter durchsuchten einen Kellerraum nach dem anderen. Überall lagerten Champagnerflaschen, aufgeschichtet an den Wänden oder schräg und kopfüber in speziellen, A-förmigen Rahmen. Sie fanden Tausende von Flaschen – aber keine einzige Frau.
In einer Nische am Ende des letzten Gewölbes entdeckte Franck endlich einen Hinweis: Auf dem Boden lagen Brotkrümel, Zigarettenstummel und eine Haarklemme. Damit bestätigten sich seine schlimmsten Befürchtungen: Die Dohlen hatten tatsächlich die Nacht hier verbracht, waren aber entkommen.
Er suchte jemanden, an dem er seine Wut auslassen konnte. Die Arbeiter hatten wahrscheinlich keine Ahnung von den Dohlen, aber ohne die Erlaubnis des Kellereibesitzers hätten sich die Partisanen hier nicht verstecken können. Dafür wird er büßen müssen, dachte Franck, stieg wieder ins Erdgeschoss hinauf, durchquerte den Hof und ging zum Wohnhaus. Ein Gestapo-Mann öffnete ihm die Tür. »Sie sind alle im vorderen Salon«, sagte er.
Franck betrat einen großen Raum mit eleganter und geschmackvoller, wenngleich schon ein wenig abgenutzter Einrichtung: schwere Vorhänge, die seit Jahren nicht gereinigt worden waren, ein abgewetzter Teppich, ein langer Esstisch mit zwölf dazu passenden Stühlen. Das verängstigte Hauspersonal drängte sich gleich hinter der Tür zusammen: das Dienstmädchen, das Clairet die Tür geöffnet hatte, ein älterer Mann, der in seinem fadenscheinigen schwarzen Anzug aussah wie ein Butler, und eine
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