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Die Letzte Arche

Die Letzte Arche

Titel: Die Letzte Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
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Helen selbst und Jeb waren Max und Magda Eltern, wenn auch kein Liebespaar, aber sie schienen beide Trost in der Gesellschaft des anderen gefunden zu haben. Magda hatte sogar noch ein zweites Kind mit Max bekommen, ein Mädchen namens Sapphire, das jetzt ein Jahr alt war. Vielleicht konnten Diamond und Mario später miteinander spielen.
    Der Detailreichtum dieser HeadSpace-Simulation war gut. Die durch simple fraktale Routinen erzeugten Wellen auf der Meeresoberfläche und der Schaum, wo sie brachen, waren durchaus überzeugend, das hatte Helens Mutter jedenfalls behauptet. Jedes einzelne Sandkorn warf einen Schatten. Sie konnte sogar den Sand unter ihren bloßen Beinen spüren, grobkörnig und scharfkantig – weitere fraktale Bearbeitung. Für ein geübtes Auge war es jedoch nicht schwer, die Beschränkungen des Virtuals zu erkennen, zum Beispiel die abgestuften Schattierungen des blauen Himmels mit ihren gradlinigen Rändern, die den Eindruck erweckten, als bestünde er aus riesigen Tafeln. Grace, die auf der Erde schon auf echten Stränden gestanden hatte, wies darauf hin, dass solche Merkmale wie Wolken am Himmel, Seetang und Quallen im Meer oder Tanghaufen auf dem Sand fehlten – wie auch Floßladungen von Eye-Dees, hatte sie trocken angemerkt, die sich auf dem Meer bis zum Horizont hinaus zusammenscharten. Die HeadSpace-Zellen waren eine bejahrte Technologie, und die für diese Simulationen verfügbare Prozessorleistung war begrenzt.

    Aber die Kinder in ihren Virtual-Anzügen und ihren separaten HeadSpace-Zellen konnten unter diesem gemeinsamen virtuellen Himmel miteinander rangeln, um die Wette rennen und im Wasser planschen.
    All dies war Holles Idee. Sie hatte auch Sportwettkämpfe wie Catchen und Sumo-Ringen wieder aufleben lassen, bei denen sich junge Körper in der Schwerelosigkeit miteinander messen konnten, Programme, die dazu gedacht waren, Muskelmasse und Knochenstärke aufzubauen, damit sie dem Schwerefeld der Erde III gewachsen waren. Holle wollte nicht, dass die Crewmitglieder wie Babys zu Boden purzelten, verwirrt und entsetzt von solchen elementaren Dingen wie einem offenen Himmel.
    Es schien zu funktionieren. Der spielende Mario geriet nicht aus der Fassung, weil man weder die Sonne dimmen noch den Wind verstärken konnte. Aber manchmal fragte sich Helen, ob nicht etwas Einzigartiges verlorenging, während die Mission sich ihren Ende näherte, nämlich eine im Verlauf von vierzig Jahren in den dunklen Winkeln des Schiffes aus der Notwendigkeit geborene Kultur mit ihrer eigenen heimlichen Kunst und Sprache, ihrem eigenen heimlichen Stil. Man hatte den Stämmen halbnackter, kunstvoll tätowierter Kinder das Wort für »Himmel« beibringen müssen, indem man sie in eine HeadSpace-Zelle steckte und ihnen das Gemeinte zeigte. Aber die Schiffsgeborenen hatten vierzig neue Wörter für »Liebe« entwickelt.
    Außerdem konnte Helen selbst die Simulationen nicht ausstehen. Sie war ebenfalls eine Schiffsgeborene, und vielleicht war es zu spät für sie, sich an die Offenheit eines Planeten anzupassen. Aber die Landung rückte drohend näher wie das Datum ihrer eigenen Hinrichtung – obwohl es eine reizvolle Herausforderung für sie darstellte, eine Raumfähre zu der neuen Welt hinunterzusteuern.
Während der kleine Mario die ihn zugeteilte Zeit verspielte, ertrug sie also die Offenheit, den Sonnenschein auf ihren bloßen Armen, das Fehlen des tröstlichen Umschlossenseins von abgenutzten Metallwänden. Und sie klammerte sich an fehlerhafte Details wie die Linien der Farbschattierungen am Himmel, die sie beruhigten, dass nichts von all dem real war und ihr kein Leid geschehen konnte.
    Sie war erleichtert, als die Zeit um war und sie Mario vom Rand des Meeres zurückrufen konnte.

93
    FEBRUAR 2079
     
    Einmal, nur ein einziges Mal, fing Venus ein seltsames Signal auf, als sie im Dunkel der Kuppel schwebte. Es schien kohärent zu sein, wie der Strahl eines Mikrowellenlasers. Sie triangulierte das Signal mit Hilfe ihrer Weltraumteleskope und gelangte zu dem Schluss, dass es nicht aus der Nähe kam. Und sie ließ es durch Filter laufen, um es in ein Audiosignal umzuwandeln. Es klang kalt und klar, ein Trompetenton, weit entfernt in der galaktischen Nacht.
    Falls es sich um ein Signal handelte, so war es nicht menschlich.
    Sie horchte zwei Jahre lang, während der ganzen restlichen Reise zur Erde III, hörte es aber nie wieder.
    Holle und den anderen erzählte sie nichts davon.

94
    JULI 2081
     
    Venus

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